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AtelierbesuchDer Freiheitssucher

Rudi Kargus gewann als Torhüter des Hamburger SV in den 1970er-Jahren Titel um Titel. Nach seiner Zeit als Fußball-Profi wurde er Künstler. Am Sonntag startet eine Kargus-Ausstellung in Hamburg.

Hat die Disziplin des Profi-Fußballs mit der Freiheit der Kunst vertauscht: Ex-HSV-Torwart Rudi Kargus in seinem Atelier. Bild: dpa

HAMBURG taz | Rund um den Türgriff Farbkleckse, die würde er so schön nicht hinkriegen, wenn er sie absichtlich machen wollte. Die Farbkleckse kommen da hin, weil es im Atelier kein Klo gibt, nur draußen, im Freien, und wenn er raus muss, grabscht er die Klinke mit den versauten Händen an. „Ich bin ein Malschwein“, sagt Rudi Kargus, der als Torhüter des Hamburger SV 1976 den DFB-Pokal, 1977 den Europapokal der Pokalsieger und 1979 die Deutsche Fußballmeisterschaft gewonnen hat.

Um das Klo draußen sind ein bisschen Wald und Nebel und viel weniger Farben als im Atelier. Das Atelier liegt zwischen Norderstedt und Quickborn und hinter Schranken, die immerhin offen sind. Nicht einfach zu finden, das Atelier. Selbst wenn man direkt davor steht. Neben der Tür Klamotten: Schals, eine Heizung gibt es hier erst seit diesem Jahr. Im Winter 2010/11 hat Kargus bei fünf Grad gemalt. Jacken und Shirts, steif von Farbe.

Auf einem Tischchen die Farbtuben. Nebeneinander. Er weiß von jeder Dose, welche Farbe drin ist. Sehen kann man das nicht mehr. Auf einem anderen Tischchen Pinsel, ausgewaschen, und Spachtel.

In einer Ecke, unscheinbar, ein paar Fotos an ein Board gepinnt. Ich gucke nicht auf die Fotos, ich gucke auf die Bilder. Ich will die Fußballer sehen. Ricardo Zamora, mit der Schiebermütze, Lew Jaschin, die Torhüter, und die vier russischen Kicker, die er „Russenköpfe“ nennt.

Die „Russenköpfe“ kann er mir nicht zeigen, die sind verkauft. An einen Journalisten. Der hat jetzt Igor Netto und Eduard Strelzow. Zamora ist noch da. Normalerweise stehen die Menschen in seinen Bildern mit dem Rücken zum Betrachter, oft sind sie schemenhaft, weiß, sie ducken sich, oder laufen weg.

Kargus hat sie nach diesen kleinen Bildchen, die er als Kind sammelte und in Alben klebte, gemalt. Er hat die Liebe, mit der er damals die Bildchen angeguckt hat, in die Großformate hinüber gerettet.

Rudi Kargus wird dieses Jahr sechzig. „Die Zeit läuft“, sagt er. Seine Brille liegt irgendwo. Er war ein guter Torwart. Geboren in Worms, viele Jahre beim Hamburger SV, dann noch ein bisschen Nürnberg, Karlsruhe, Düsseldorf und Köln. In Köln war er froh, dass er nicht mehr spielte. So weh taten ihm die Knochen.

„Am Anfang“, sagt er, „hab ich Fußball und Malen strikt getrennt.“ In den Jahren 2006 und 2007 hat er ein paar Bilder zum Fußball gemacht. Vor allem Flutlicht. Jetzt ist das wieder vorbei.

Mitte der neunziger Jahre hat er mit dem Malen angefangen. Er hatte nach der Karriere als Fußballprofi einen Job im Nachwuchsbereich des HSV. Noch mehr Fußball als vorher. Eine Überdosis. Dann kam eine Hüftoperation, Kargus hat zwei künstliche Hüftgelenke.

„Da kam ich ins Nachdenken“, sagt er. Ein ganzes Leben nur Fußball? Von morgens bis abends? Da hat er ein paar andere Dinge an sich „herangelassen“, wie er das nennt: Kultur, Literatur, er hat viel gelesen, ist ins Theater, ins Kino und auf Reisen gegangen, in Museen, hat gemalt, Kurse besucht und in der Blankeneser Kunstschule Jens Hasenberg, „meinen Dozenten und Mentor“, wie Kargus sagt, kennengelernt. „Dann ging das los“, sagt er. Öl, größere Formate, ihn „hat das immer mehr fasziniert“. Da war Leidenschaft.

Die Malerei gab Kargus einen anderen Blick, auch auf sich selbst. Eine andere Erklärung auf die Frage: „Warum mache ich das und nicht das?“ Beim Malen, sagt Kargus, „da fängt man an, in sich zu steigen, wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Das war spannend.“

Er hat seine Abgründe gesehen, und die sehen wir, die wir unsere nur ahnen, nun in seinen Bildern. Er arbeitet vier bis sechs Stunden am Tag, dann ist er erschöpft, „leer irgendwie“. Wenn er das Atelier verlässt, und das Bild ist nicht fertig, schwankt die Gemütslage zwischen „totalem Glücksgefühl, dem Wissen, das wird ein geiles Bild, und tiefer Verzweiflung: Das musst du zerstören.“

Das sei gar kein so fürchterlicher Prozess, das Zerstören. „Aus den Trümmern wächst was Neues“, sagt er. Natürlich fragen ihn alle nach dem Fußball und dem Malen, den Unterschieden zwischen beiden und den Parallelen: „Beim Malen muss der Zufall eine Rolle spielen. Beim Malen kommt es schon mal vor, dass ich die Kontrolle verliere, Disziplin hatte ich genug im Leben.“

Kargus hat keinen Druck beim Malen. „Malen“, sagt er, „ist ja nicht locker flauschig was hinpinseln.“ Aber es gibt nicht den Druck: Das musst du heute fertig machen, das musst du so machen. Nur den Druck, den er sich selbst macht, weil er was zum Ausdruck bringen will. Er nennt das, was er als Fußballer war, „dressiert“, und „das weicht jetzt der Autonomie“.

Er hat eine Karte für die Heimspiele des HSV. Er hat kaum Kontakt zu Fußballern, auch nicht zu Mitspielern. In Leverkusen hängt eines seiner Bilder, Heribert Bruchhagen, der Manager beim HSV war, als Kargus anfing, und inzwischen Vorstandsvorsitzender der Eintracht Frankfurt Fußball AG ist, hat zwei gekauft. Beim HSV sitzt Kargus, wenn er mal hingeht, nach dem Spiel mit Arkoc Özcan, der die Nummer eins war, als er kam, und Horst Schnoor, der im April 78 wird, zusammen.

Kargus hatte so 15 bis 20 Ausstellungen, er hat nichts archiviert. „Die Kunst macht mich schludrig“, lacht er, „und das Schöne ist, ich genieße es.“

Bilder an die Wand gelehnt, an den Säulen, Kataloge auf dem Tisch, in denen er Anregungen für Farbkombinationen findet. Eingepackte Bilder, fertig zum Abtransport zur Ausstellung.

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