Asylbewerber in Deutschland: Auf der Flucht vor Italien
In Deutschland leben 40 Flüchtlinge, die nach Italien abgeschoben werden müssten. Doch das italienische System gilt deutschen Behörden als menschenunwürdig.
BERLIN/ROM taz | "Da gehe ich ich lieber gleich nach Somalia zurück!" Mohammed wollte auf keinen Fall wieder nach Rom, das hatte er dem Richter in Darmstadt klar gemacht, der über seinen Verbleib in Deutschland entscheiden sollte.
Er war 2009 als Flüchtling über Lampedusa auf die italienische Halbinsel gekommen. Nachdem man ihn mit Papieren versorgt und im Aufnahmezentrum vor die Tür gesetzt hatte, machte er sich auf den Weg in die italienische Hauptstadt - um dort dann einsam und obdachlos umherzuirren.
Nach der Dublin-Vereinbarung hätte Mohammed aus Deutschland nach Italien abgeschoben werden müssen, weil er über dieses Land nach Europa eingereist war und dort als erstes seine Fingerabdrücke abgenommen worden waren. Das Darmstädter Verwaltungsgericht setzte sich über dieses Abkommen hinweg.
ist Redakteurin bei Radio Vatikan und spezialisiert auf humanitäre und soziale Fragen. Für das staatliche Radio Rai 1 war sie 10 Jahre lang als Ideengeberin und Moderatorin der Sendung „I nuovi italiani“ (Die neuen Italiener) tätig, die sich mit dem Thema Immigration beschäftigt. In den vergangenen Wochen war sie Gastredakteurin in der taz, im Rahmen eines vom Goethe-Institut initiierten deutsch-italienischen Journalistenaustauschs.
Mohammed konnte in Deutschland bleiben – wie mittlerweile vierzig andere Asylsuchende, die aus Italien geflüchtet sind. Italien steht wegen der Zustände in Flüchtlingslagern auf der schwarzen Liste. Deutsche Richter und Anwälte kritisierten aufs Schärfste die Behandlung der Flüchtlinge, deren Menschenwürde nicht respektiert würde.
Die Geschichten, die die jungen Menschen den deutschen Anwälten über Lampedusa erzählten, haben vieles gemeinsam. Sie alle flüchteten aus Äthiopien, Eritrea oder Somalia und kamen nach Lampedusa, um Asyl zu beantragen. Nach mehreren Monaten in Abschiebehaftlagern erhielten sie provisorische Papiere und waren fortan ohne jede Hilfe auf sich gestellt. In Rom beginnt für sie das Leben auf der Straße, das Essen in der Suppenküche und die Suche nach einem Ausweg.
Recht und Freiheit finden
Einen von ihnen kenne ich sehr gut. Es ist ein junger afghanischer Mann, der sich heute zurecht als mein Sohn betrachtet. Im Alter von 14 Jahren kam er nach monatelanger Flucht nach Rom. Er hatte den Krieg und die Tötung eines Teils seiner Familie erlebt.
Mehrere Monate schlief er im römischen Bahnhof Ostiense, der auch in Afghanistan vor allem als Treffpunkt für Minderjährige bekannt ist. Später gelangte er in ein geschütztes Wohnprojekt, von wo aus er einen Asylantrag stellte. Mit Erreichen der Volljährigkeit änderte sich für ihn wie für so viele andere alles. Er musste das Wohnprojekt verlassen und stand vor dem Nichts.
Er hat Glück gehabt, lebt jetzt in einer italienischen Familie. Aber sein eigentliches Ziel war England oder noch besser Deutschland, weil er dort Recht und Freiheit zu finden hoffte. "Die Aufnahmestrukturen hier entsprechen dann häufig nicht den Erwartungen", erklärt der Vertreter einer Vereinigung, die sich in Berlin um Flüchtlinge aus dem Iran kümmert. "Aber sicherlich ist es im Vergleich zu Italien ganz anders."
In Berlin sei die Situation zudem besser als in anderen Teilen Deutschlands. Aber auch hier gebe es Probleme. Seit sechs Jahren gilt ein Zuwanderungsgesetz, das seinem italienischen Pendant in vielem ähnelt. Nur diejenigen, die nützliche Tätigkeiten ausüben können oder über eine Berufsausbildung verfügen, erhalten eine Arbeitsgenehmigung. Für Familienzusammenführungen gelten strenge restriktive Regeln. Auch in Deutschland dauert es häufig lange, bis die Anträge bearbeitet sind. Aber eben bei weitem nicht so lang wie in Italien.
Flüchtlinge ohne Chance auf Integration
Der Schutzmechanismus für Asylsuchende hingegen ist sogar besser als in Deutschland, wo die Aufnahmezentren („Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati“: SPRAR) häufig in abgelegenen Gegenden liegen und dem einzelnen nach Aussage von Flüchtlingsorganisationen ein geringeres Maß an Aufmerksamkeit gewidmet und Integrationsmöglichkeiten geboten werden als in den rund hundert italienischen Zentren.
Aber nur 3.000 Personen erhalten pro Jahr Zugang zu diesen Strukturen. In den vergangenen Monaten wurde deren Zahl wegen des Zustroms aus Nordafrika erhöht. Insgesamt sind die Kapazitäten im Vergleich zur Zahl der Antragsteller jedoch lächerlich niedrig.
Das Grundproblem besteht darin, dass Asylsuchende auch während der Phase aufgenommen werden müssen, in der ihre Anträge geprüft werden. Meist vergehen jedoch Monate, bevor das Asylverfahren anläuft, häufig aufgrund von Versäumnissen der Polizeibehörden. In der Zwischenzeit bleiben die Flüchtlinge sich in riesigen Aufnahmelagern des Innenministeriums buchstäblich selbst überlassen. Wenn die Anträge angenommen werden, müssen sie die Wohnstätten verlassen und stehen erneut auf der Straße. Damit bleiben die Rechte der Flüchtlinge wertloses Papier.
In Rom herrschen unerträgliche Zustände. Orte wie den Bahnhof Ostiense gibt es viele und sie sind allseits bekannt. In diesen Ghettos leben Hunderte Flüchtlinge unter unhaltbaren Bedingungen. Auch in anderen italienischen Großstädten sind Flüchtlinge meist obdachlos, ohne die geringste Chance auf Integration. Häufig werden sie von den Einwohnermeldeämtern nicht registriert, so dass sie keinen Zugang zu sozialen Grundleistungen, zu Wohnung und Arbeit haben. Für Flüchtlinge sind die italienischen Städte keine sicheren Orte.
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich Multikulti für gescheitert erklärte, spendeten ihr in Italien viele Beifall. Man klagte gern über die Notsituation in Lampedusa, über eine bevorstehende Invasion der arabischen Massen. Aber in Deutschland leben zehn Mal so viele Flüchtlinge. Man braucht das Horrorszenario: Um dem Einzelnen sein Recht zu verweigern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kürzungen im Kulturetat von Berlin
Gehen Kassiererinnen in die Oper?
FDP und D-Day
Staatstragende Partei, die von Kettensägenmassakern träumt
Privatjet auf Sylt besprüht
Haftstrafen für Letzte Generation – ohne Bewährung
Bundestag debattiert Gewalthilfegesetz
Hoffnung für Frauenhäuser
Pressefreiheit in Israel
Bibis Medien-Blockade
Offensive in Syrien
Ist ein freies Syrien möglich?