■ Asyl für Taslima Nasrin!: Lieber Herr Kinkel,
die Idee ist nicht von mir, aber ich möchte, so sehr ich kann, zu ihrer Realisierung beitragen: die Bundesregierung soll Taslima Nasrin Asyl anbieten, Schutz versprechen. Ich möchte, solange wir noch einen liberalen Außenminister haben, Sie fragen, ob Sie etwas tun können für Taslima Nasrin. Ich glaube nicht, es genüge zu sagen, daß solche Asyl- und Schutzgewährung nicht üblich sei. Es kommt darauf an, sie zu ermöglichen. Ich weiß aus Erfahrung, daß Sie nicht nur auf dem Papier liberal sind, deshalb wende ich mich an Sie. Und ich wende mich an Sie, weil es der Staat ist, der diesem religiösen Terror entgegenzutreten hat. Mordbefehle fanatischer Monotheisten sind grenzüberschreitend, deshalb ist Taslima Nasrin auf geradezu klassische Weise ein Fall, an dem wir unsere Bereitschaft und Fähigkeit, wirklich Bedrohten Asyl zu gewähren, beweisen können. Ich bitte Sie, lieber Herr Kinkel, das, was hier getan werden muß, schnell zu tun. Europa hat die Religionskrankheiten hinter sich. Aber dürfen wir zuschauen, wie anderswo der religiöse Terror sich austobt? Wäre es nicht allmählich Zeit, daß die europäischen Außenminister gemeinsam auftreten gegen den Terror dieser Kirche? Ist nicht die Morddrohung gegen Taslima Nasrin die Provokation, die eine europäische Antwort fordert? Oder ist ein Menschenleben zu wenig, um ein Ministerium oder mehrere Ministerien zu aktivieren? Lieber Herr Kinkel, weil ich weiß, daß Sie mehr wollen und vermögen als die Routine will und vermag, wende ich mich an Sie und bitte um Hilfe für meine Kollegin Taslima Nasrin.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Martin Walser
Nußdorf, 14.7.94
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