■ Astronaut „Perry Rhodan“ wird 35, heute erscheint sein 1.800stes Abenteuer „Zeitraffer“: „Warte nur, Freundchen, bald hast du die Nase voll ...“
Ah – Rhodan! In einer meiner Lieblingserinnerungen liege ich, in Rhodan-Hefte der fünften Auflage vertieft, auf dem Bett, meine Mutter guckt zur Tür herein, wirft ihre Stirn in steile Falten und sagt mit angewiderter Stimme: „Schon wieder dieser Rohdahn-Dreck!“ Sie sagte immer „Rohdahn“ und hatte sich schon mit diesem einen Wort als blutige Laiin geoutet. „Outen“ sagte man damals noch nicht, aber daß Rhodan immer und ausschließlich „Roudän“ ausgesprochen wird, das wußte damals, Anfang der Siebziger, jedes Kind.
Gut zehn Jahre zuvor, anno 1961, hatte der Moewig-Verlag in Rastatt (heute VPM) „Perry Rhodan“ aus der Wiege gehoben. Betreut wurde die erste deutsche Science-fiction-Reihe von K. H. Scheer und Clark Darlton alias Walter Ernsting, der eine ein martialischer Law-and-order-Schreiber, der andere ein mäßig begabter, aber ideenreicher Fleißarbeiter, der sich ein englisch klingendes Pseudonym zugelegt hatte, weil deutsche Namen auf dem Science- fiction-Markt jener Jahre reines Kassengift waren.
Gemeinsam entwickelten Scheer und Darlton die Stoffe, aus denen die Helden meiner Jugend gemacht waren. Wer will die vielen Stunden zählen, die ich mit Thora und Crest, dem Mausbiber Gucky und mit Ernst Ellert, dem einzigen Teletemporarier der Science-fiction-Geschichte, totschlug? Wer zählt die Nächte, die ich mit dem Unsterblichen ES durchbrachte oder mit dem langhaarigen Arkoniden und Rhodan-Intimus Atlan, der wohl nicht ganz zufällig an einen anderen großen Blutsbruder der deutschen Trivialliteratur erinnerte? Die ersten gut 400 Bände habe ich verschlungen, ehe ich die Lust an „Perry Rhodan“ verlor, weil erstens meine Pubertät zu Ende ging und sich zweitens in den Heften mit den höheren Nummern eine Wende zum Ökologisch-Esoterischen abzeichnete, die ich reichlich albern fand.
Als ich mit 18 meine Rhodan- Sammlung verscheuerte, feierte die Serie gerade ihren zwanzigsten Geburtstag. Bei ihrem Start 1961 hatte das Rhodan-Team mit bescheidenen dreißig, maximal fünfzig Abenteuern gerechnet. Statt dessen brach eine regelrechte Rhodanmania in Deutschland aus. Schon die Startauflage des ersten Bandes (35.000 Exemplare) erwies sich als viel zu niedrig, um die immense Nachfrage befriedigen zu können; bereits Mitte der Sechziger konnte der Moewig-Verlag mit dem Recycling der „größten Weltraumserie der Welt“ (Eigenwerbung) beginnen. Rhodan-Fanclubs und -Meetings erfreuten sich wachsender Beliebtheit, zum „Perry Rhodan“-Weltkongreß 1980 in Mannheim kamen mehrere tausend Fans. 1986 durchbrach die Weltauflage die Schallmauer von einer Milliarde Exemplaren.
Mittlerweile geht die Serie stramm auf die Vierzig zu. Zwar sind die Autoren meiner Jugend, die Scheer und Darlton, Voltz und Kneifel, Mahr und Ewers, längst ausgeschieden oder verstorben. Doch die zehn Lohnschreiber, die an ihre Stelle traten und zu denen seit 1993 sogar eine Frau gehört, machen ihre Sache, scheint's, genausogut, zumindest aber genauso fleißig. Auch deshalb ist heute kein Ende der Erfolgsstory abzusehen, in der neben der Originalserie noch zwei weitere Auflagen in Taschenbuchformat, knapp 400 „Planetenromane“ und über 50 erlesen häßliche Hardcover-Ausgaben die Hauptrolle spielen.
Heute steht das 1.800ste Abenteuer ins Haus. Der Titel des Bandes lautet „Zeitraffer“, die Coverseite teilen sich ein Raumschiff namens „Boomerang“ und Johnny Bruck, der kürzlich verschiedene Zeichner aller Rhodan-Titelbilder bis 1995. Allerdings fürchte ich, daß man, um das Heft lesen zu können, gewisse Voraussetzungen mitbringen muß, die ich mit meinem kümmerlichen Hintergrund von 400 Bänden nicht habe. Man sollte den aktuellen Code kennen; man sollte bei Namen wie Mila und Nadja Vandemar, Ronald Tekener oder Voltago nicht die Stirn runzeln müssen oder wenigstens wissen, was Biophore, Hirdobaan oder ein Kyberklon ist. Und man sollte, in Wirklichkeit oder im Kopf, nicht älter als 18 sein.
In einer meiner weniger erfreulichen Erinnerungen trampelt meine Mutter auf umherflatternden Groschenheften herum und verkündet grimmig: „Warte nur, Freundchen, noch zwei Jahre, und du hast die Nase voll von deinem Rohdahn!“ Natürlich habe ich sie damals ausgelacht. Welcher 16jährige hört schon auf seine Mutter? Otto Pulver
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