■ Aschermittwoch nicht nur in Bayern: Mehr Lob für Demokraten!
Während die bundesdeutschen Kommentatoren heute allesamt auf Grob-ian Max Streibl schauen und die Zukunft der CSU zu ergründen trachten, erlauben wir uns den Luxus, den institutionalisierten niederbayerischen Aschermittwoch mit Nichtbeachtung zu strafen. Daß sich in der Passauer Nibelungenhalle das CSU-Fußvolk in selbiger Treue hinter ihren Landesvater gestellt hat, der wiederum überhaupt keinen Grund für einen dauernden Ausflug aus der Münchner Staatskanzlei – etwa nach Brasilien – finden kann, ist nun wirklich keine Überraschung. Dieses christsoziale Volk hat schon immer pariert.
Das deutsche Rest-Volk dagegen verweigert sich. Anstatt brav alle Jahre den Stimmzettel mit einem Kreuz zu verzieren, will es nun gar nicht mehr. 30, vielleicht gar 40 Prozent der Deutschen drohen, beim nächsten Urnengang daheim zu bleiben. Darob ist in Bonn tiefe Niedergeschlagenheit eingekehrt. Daß die Politikmüdigkeit etwas mit dem Zustand der Politik zu tun haben könnte, wäre wirklich eine bösartige Unterstellung. Wieso denn auch? Da rackert man sich im Parlament und seinen Ausschüssen, auf Dienst- und sonstigen Reisen jahraus, jahrein ab, und die Wähler honorieren es, in dem sie im Sessel sitzen bleiben und an der Fernbedienung zupfen. Ungemach droht aber nicht nur der Demokratie, sondern – vor allem anderen – den Parteikassen. Die nämlich sollen in Zukunft nicht mehr pro Wahlberechtigten, sondern pro abgegebene Stimme beim Staat abkassieren dürfen.
Und so wundert es nicht, daß ausgerechnet die SPD-Schatzmeisterin Wettig-Danielmeier zum Aschermittwoch in Bonn einen bemerkenswerten Vorschlag machte: Wahlpflicht für alle Bundesbürger! Wer nicht spurt, soll 100 Mark Strafe zahlen. „Eine Wahlpflicht ist denkbar, wenn Appelle nichts mehr nutzen“, sekundiert Clemens Schwalbe von der Union. Leider vergaß man zu erwähnen, wer das Strafmandat dann kassieren darf. Ein Obolus zur Finanzierung des Aufschwungs Ost? Ein Hunni für die Bundesbahn? Darf man das Geld später mit dem Kauf der Autobahn-Vignette verrechnen? Oder sollen damit gar, wir ahnten es schon, die Parteien finanziert werden?
Der 100-Mark-Vorschlag ist in Wahrheit halbherzig, ungenügend. Warum nur die Verdrossenen strafen, den Demokraten aber ein Lob versagen? Es müssen ja nicht gleich ökologisch bedenkliche Freiflüge nach Brasilien sein. Aber 50 Mark für jede Stimmabgabe, da sind wir ganz sicher, würde der deutschen Demokratie zu ungeahnten Spitzenwerten verhelfen und das dumme Gerede von der Politikverdrossenheit ein für allemal beenden. Klaus Hillenbrand
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