Der SPD-Kandidat will weitermachen/ Die SPD sieht sich trotz ihrer Niederlage im Aufwind — bei der Jugend/ Währenddessen herrschen bei den Freien Demokraten nur eitel Freude und Glückseligkeit ■ Aus Bonn Tina Stadlmayer
Die CDU sieht trotz des Erfolgs nicht alle Blütenträume reifen: Die Koalitionsgespräche dürften schwieriger werden als erwartet/ Kohl zeigte besondere Freude über das Berliner Wahlergebnis ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan
■ Noch im Frühjahr hatte sich die SPD aus dem traditionell „roten“ Sachsen und Thüringen einen soliden Zugewinn versprochen. Mit der dritten Wahl 1990 festigt sich dort die konservative Mehrheit. Der Griff zur politischen Macht rückt für die SPD in weite Ferne. Aber Lafontaine-Wahlkampfmanager Klimmt will jetzt von Selbstzweifeln nichts wissen, die SPD schaltete in Bonn gestern stur auf „Augen zu und durch“.
■ Den Sicherheitslogistikern dürfte die „Wahnsinnstat von Oppenau“ den Schweiß auf die Stirn treiben. Dabei hat der Bundestagswahlkampf gerade erst begonnen. Während die Polizei nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Innenstaatssekretär Neusel jederzeit mit einem RAF-Anschlag auf Kohls Kronprinzen, den hochgefährdeten Innenminister Schäuble rechnete, war der Anschlag nach dem Messerstich auf SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine im April wiederum die Tat eines einzelnen. Schäubles Zustand ist nach Aussagender Ärzte nach wie vor prekär.
■ Die erste Bundestagssitzung des gesamtdeutschen Parlaments im Berliner Reichstag war geprägt von Nüchternheit. Kohl forderte das Volk auf, die Ärmel hochzukrempeln, um Deutschland nun auch wirtschaftlich, sozial und kulturell zu vereinen
■ Verquollener Optimismus ist angesagt bei der Zeremonie der Vereinigung der beiden sozialdemokratischen Parteien. Eine politische Debatte findet in Berlin nicht statt — 's ist Wahlkampf. Den aber gibt die Demoskopie verloren.
■ Der Streit um die Rechtslage bei Abtreibungen im vereinigten Deutschland führt zu einer zweiten langen Nacht in Bonn / SPD will verhindern, daß nach zwei Jahren automatisch die bundesdeutsche Indikationsregelung in Gesamtdeutschland gilt und drängt auf eine Selbstverpflichtung des zukünftigen Parlaments
■ Die Bonner Koalition hat in der Frage der Abtreibung ein geteiltes Strafrecht beschlossen: Frauen aus der Bundesrepublik machen sich strafbar, wenn sie in der DDR abtreiben. Bei der FDP hat das Umfallen der Parteispitze einen Riesenkrach ausgelöst. Die SPD kündigte bereits an, sie werde ihre Zustimmung verweigern. Berlins sozialdemokratische Justizsenatorin Jutta Limbach kündigte eine Bundesratsinitiative der Berliner Regierung an
■ Gestern reichten die verbliebenen fünf Minister der SPD in Ost-Berlin ihren Rücktritt ein, die Große Koalition ist damit nach 130 Tagen bereits am Ende. Mit dem Austritt der SPD verliert de Maiziere die Mehrheit für die Verabschiedung eines zweiten Staatsvertrages - nach Meinung der SPD ein Problem, das auch anders gelöst werden kann: zum Beispiel durch „Beitritt sofort“.
■ Walter Romberg (SPD) will sich nicht fügen: „Ich bin weiter Finanzminister der DDR.“ Doch sein Widerstand gegen die von de Maiziere verfügte Entlassung wird die große Koalition nicht retten. Am nächsten Mittwoch will die SPD-Fraktion den Ausstieg aus der Regierung beschließen und damit die lange Reihe von Demütigungen beenden. Ihren Mitgestaltungsanspruch im Einigungsprozeß konnte sie ohnehin nie einlösen. Den deutsch-deutschen Unionsstrategen drohen die Sozialdemokraten jetzt die Ablehnung des Einigungsvrtrags an.
■ „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ - so kurz und eindeutig stellt es das Grundgesetz der Bundesrepublik fest. Schon lange ist der Union der Artikel 16 ein Dorn im Auge. Mit einer Einschränkung des Rechts auf Asyl möchte sie die „Asylantenflut“ eindämmen. Nun erhalten die Christdemokraten Schützenhilfe - von Lafontaine. Im Wahlkampf ist dem Kanzlerkandidaten der SPD das Thema der offenbar überzähligen Ausländer gerade recht.