Jean Améry
■ „Denke ich zurück an die ersten Tage des Exils in Antwerpen, dann bleibt mir die Erinnerung eines Torkelns über schwankendem Boden. Schrecken war es allein schon, daß man die Gesichter der Menschen nicht entziffern konnte. War das Lächeln des Polizeibeamten, der unsere Papiere kontrollierte, gutmütig, indifferent oder höhnisch? War seine tiefe Stimme grollend oder voll Wohlwollens? Ich wußte es nicht. Meinte es der alte bärtige Jude, dessen gurgelnde Laute ich immerhin als Sätze aufnahm, gut mit uns oder waren wir ihm verhaßt, weil wir durch unsere bloße Anwesenheit im Stadtbild eine schon fremdenmüde, von Wirtschaftsnöten geplagte und darum zum Antisemitismus neigende heimische Bevölkerung gegen ihn aufbrachten?“