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Aus taz FUTURZWEI

Aron Boks über Reden mit 19-Jährigen Wie witzüüch!

Ich bin 26 und gehöre umgangssprachlich zur Generation der „Jungen“. Aber wenn ich mit meiner Freundin Maya rede, sehe ich alt aus. Sie ist 19 und ich verstehe kein Wort.

2000er-Jahrgänge lösen Überforderungen ihres Lebens online mit erhöhtem Mitteilungsbedürfnis an ihre Mitmenschen Foto: Lorraine Hellwig

Von ARON BOKS

Ich dachte immer, ich wüsste alles übers Jungsein. Bis ich Maya traf. Maya ist 19. Sieben Jahre jünger als ich. Weil ich aber den Ehrgeiz habe, auch als ältere Person auf dem Laufenden zu bleiben, frage ich sie, ob wir zusammen abhängen können.

Da ich im Gegensatz zu Maya nicht auf TikTok unterwegs bin, sondern nur auf Instagram und Facebook, schlage ich eine mir dort angezeigte »90s KiD Party« vor. Maya wählt die Bar zum Vortrinken aus, wo auch ihre Freund:innen hingehen werden.

Erst danach fällt mir wieder ein, dass Maya ja gar kein 90‘s Kid ist. Sie ist im 21. Jahrhundert geboren, Jahrgang 2003. Wir sind offiziell zwar Teil einer Generation (Z), aber wenn sie redet, verstehe ich meist kein Wort. Sie und die Freund:innen, von denen sie erzählt, wissen immer, welche Mode gerade in ist, welche neue Musikrichtung groß wird und überhaupt, was angesagt ist und was nicht. Das sind dann immer Dinge, von denen ich nie gehört habe.

2000er-Slang

Wir treffen uns um neun in einem mexikanischen Restaurant einer Berliner Kette. Maya und ihre Freund:innen kommen hierher aber nie zum Essen, sondern nur zum Trinken. Weil es hier so günstig ist und früher niemand nach Ausweisen gefragt wurde.

»Wie witzüüch«, sagt Maya in einer Art Dialekt, den ich vorher noch nie bei ihr gehört habe, als ich mich mit einem trockenen Merlot an ihren Tisch setze. Sie trägt ein graues Sakko, dazu roten Lippenstift.

»Du trinkst Weihein«, sagt ihre Mitbewohnerin und beste Freundin Emma, die neben ihr sitzt. Ihr Sakko ist grau. Zudem trägt sie extrem hellblonde schulterlange Haare und ein warmes Lachen im Gesicht, während sie mir auf meine Frage, was hier so witzüüch ist, erklärt, dass man hier eigentlich nur Cocktails trinkt.

»Emma wird uns zur Party begleiten«, sagt Maya aufgekratzt. »Sie ist übrigens Deutschlands bekannteste TikTok-Lesböö.« Falls ich das noch nicht erwähnt habe, Maya studiert Architektur, arbeitet zudem als Journalistin und ist Theaterkritikerin auf TikTok. (Ich wusste auch nicht, dass es das gibt!) Sie und Emma führen in ihrer WG einen TikTok-Kanal Namens geruchtekuche. Dort folgen ihnen 13.000 Leute und beobachten ihre Art, vegan zu kochen und zu leben.

»Die bekannteste bin ich nüücht!«, bemerkt Emma fast selbstkritisch und wenig später kommen gut sechs ihrer Freund:innen zu uns an den Tisch. Einer von ihnen deutet auf mich.

»Trinkt der Weihein?«, fragt er.

»Wieso redet ihr eigentlich alle so …«, frage ich Maya später. Noch bevor ich meinen Satz beenden kann, erklärt sie mir den »valley girl vocal fry«, offenbar eine linguistische Neuerung, bei der am Satzende der high rising terminal verwendet wihird.

Maya ist in Hamburg mit TikTok, US-Serien und YouTube aufgewachsen und hat die Art und Weise übernommen, wie amerikanische Collegefrauen dort reden. Ihre Freund:innen sind offenbar auch mit amerikanischer Popkultur aufgewachsen. Sie alle haben sich in Berlin über TikTok kennengelernt, werden sie mir später erzählen. So wie andere Gleichgesinnte in Sportverein. Und wenn sie zusammen sind, dann sprechen sie eben so, wie sie gern sprechen. Nur haben Maya und ihre Freund:innen das Ganze für sich irgendwie schon weiterentwickelt, denke ich. Das eingeschobene »h« im letzten Wort eines Satzendes wird zwar hin und wieder noch verwendet. Meist werden jedoch Vokale verdoppelt und durch zwei Umlaute akustisch verstärkt. So klingt nicht automatisch jeder Satz wie bei »valley girls« wie ein naiv-devoter Fragesahatz?, stattdessen, egal ob es um eine Frage oder Aussage geht, wie ein echtes Anliegöön.

»Und du bist mit Maya befreundööt?«, unterbricht uns ein Typ mit Lederjacke neben mir, und ich sehe fragend zu Maya. Bin ich? Sie nickt.

»Bin üüch.«

»ES STIMMT JA: MAYA UND ICH HABEN ES AN KEINEM ORT LÄNGER ALS EINE STUNDE AUSGEHALTEN. MAYA HAT ÜBER NICHTS ANDERES GEREDET ALS ÜBER SICH – UND ICH DARÜBER, WIE SICH DAS VON MIR UNTERSCHEIDET.«

Aron Boks

Situationships

Als wir später mit Mayas Freund:innen zum Späti gehen, eröffnet uns Emma, nachher doch nicht mit in den Club zu kommen. Ihre Situationship kommt zu Besuch. Situationship, erfahre ich auf verschämtes Nachfragen, ist etwas zwischen Freundschaft plus und Beziehung.

»Sind viele deiner Freund:innen in Situationships?«, frage ich Maya. »Fast alle«, sagt sie. »Ich habe mal gelesen, dass das voll typisch ist für Leute unserer Generation. Das wurde irgendwie mit Digitalisierung, Überangeboten und so begründet.«

Als ich selbst einmal zu diesem Thema recherchiert habe, bin ich auf einen Artikel gestoßen, der von einem Mitglied unserer Vorgängergeneration, einem Millennial, über ein ähnliches Problem geschrieben wurde. Die Autorin reflektiert dort über das Urteil eines Universitätsprofessors, der ihrer Generation »Fear of Missing Out« attestierte, die ständige Angst etwas Besseres zu verpassen, auch bei der Partner:innenwahl. Vielleicht hat der Boomer-Professor ja recht, denke ich. Aber woher kommt dieser besorgte Ton bei Älteren, wenn es um das Liebesleben der Jüngeren geht? Auch ich habe Maya hinsichtlich des Trends der »Situationship« sehr ernst gefragt, ob der möglicherweise mit Angst vor echtem Commitment zusammenhängt.

»Ja, voll«, sagte sie nüchtern. Das war’s. Keine Ahnung, was ich mit der Frage eigentlich bezwecken wollte. Leute, die andere immer nur fragen, wohin ihr Weg führt, ohne sich dabei mitzubewegen, halten auf, denke ich. Und wir müssen jetzt zur Party.

Das Tolle an Mainstreamclubs

Die »90s KiD Party« findet in einem Club nahe des Fernsehturms am Alexanderplatz statt. Dort wirkt alles wie eine Kataloggeburtstagsparty mit Lichterketten statt Girlanden, und überall dieser stressige Koks- und Wodkavibe, der in jedem Gesicht der Gäste zu sehen ist. Die Menschen tragen T-Shirts und Sakkos, Hemden oder eng anliegende Kleider. Dazu Mainstreammusik der späten 80er und 90er und alles leuchtet im Red-Bull-Dosen- und Strasssteinglitzer. Es ist so, wie Leute den Berliner Mainstreamclub »Matrix« beschreiben, der Menschen aus meinem Jahrgang schon damit unmöglich gemacht wurde, dass er von Lehrer:innen bei der obligatorischen Klassenfahrt nach Berlin ins Programm genommen wurde. Ich entschuldige mich dreimal für die Auswahl der Party, aber Maya sagt, ich solle mich entspannen. Sie habe Spaß.

»Dieser Club und auch das ›Matrix‹ sind NPC-Clubs«, sagt sie und dass sie diese Orte liebt.

NPC-Clubs, falls Sie das auch nicht wussten, sind Clubs voller Non Playable Characters, also unscheinbarer Leute.

»Aber wieso ist das gut?«, frage ich.

»Weil man dort automatisch die Coolste ist.«

Ich denke gar nicht daran, genauer darauf einzugehen. Außerdem gehen wir gerade. Ein Freund von Maya hat uns in einen anderen Club eingeladen.

Typen, die einem den Ick geben

Als wir in Richtung U-Bahn gehen, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich ein kräftiger Typ, der zur Hälfte aus Locken besteht, aus einer Traube anderer Leute in Mayas Alter nahe einer Tram aufgeregt zu uns umdreht.

»Maya!«, brüllt er.

Maya hatte mir gesagt, dass es aufgrund ihres WG-TikTok-Accounts und ihrer Onlinepräsenz rein statistisch möglich sei, dass sie aus einer Gruppe von 20 jungen Leuten in Berlin mindestens von einem erkannt werde. Wir bleiben stehen und der Lockenkopf kommt auf uns zu. »Maya?«, fragt er jetzt und deutet mit einem spitzen Finger auf sie. Er verschränkt die Arme, beginnt unvermittelt zu lachen, dann deutet er auf ihre Haare.

»Ganz ehrlich«, sagt er, »blond war nicer.«

Wir gehen wortlos. Maya hat sich die Haare extra orange gefärbt, weil das die Farbe des Jahres werden wird. Das wollte sie dem Typen aber nicht verraten, so wichtig sei er ihr nicht.

»Außerdem hat der mir mit seiner Art voll den Ick gegeben.«

Während wir in Richtung Technoclub gehen, zählt Maya auf, was ihr noch alles den Ick gibt:

»Wenn jemand zum Bus rennt, und der dann doch wegfährt«, sagt sie.

»Wenn jemand seinen WhatsApp-Status aktualisiert.«

»Wenn jemand Spiegelselfies macht.«

»Wenn jemand die Tagesschaumelodie mitsingt.«

So geht das noch mit gefühlt fünfzig Sachen weiter, die Maya abturnen. Fünfzig Prozent davon treffen auf mich zu. Wenigstens aktualisiere ich nicht meinen WhatsApp-Status, denke ich. Da steht schon seit sechs Jahren »Dickes B, home an der Spree«, na ja.

2000er-Slang – das Glossar

Ick, der

»Den Ick geben« bezeichnet ein Verhalten, mit dem jemand unattraktiv auf eine andere Person wirkt, sodass diese zusammenzuckt. Wer den Ick gibt, kommt als Date oder Sexualpartner:in nicht infrage.

NPC, der

Steht in der ursprünglichen Bedeutung für »non-playable character« und ist ein Fachbegriff aus der Videospielwelt. Gemeint sind Charaktere, die im Hintergrund agieren. NPC-Clubs sind Diskotheken oder andere Lokale, die durch ihre unpolitische Ausstattung und Mainstream-Musikauswahl bewusst keine Subkulturen oder ausgewählte Milieus, sondern den Querschnitt der Gesellschaft anziehen wollen. Einer der berühmtesten NPC-Clubs ist die Großraumdiskothek »Matrix« in Berlin-Friedrichshain, bekannt geworden als einer der Drehorte der RTL 2 Serie Berlin – Tag & Nacht.

Situationship, die

Bezeichnet im romantischen Zusammenleben von Personen eine Ebene zwischen Freundschaft plus (mit Sex) und Beziehung. Die involvierten Personen agieren wie in einer Beziehung, ohne sich jedoch als Beziehungspartner:innen zu definieren. Exklusivität ist dabei möglich, wird aber nicht vorausgesetzt. Das entscheidende Merkmal ist der temporäre Status.

schnelle Brille, die

Modetrend, der seit 2022 auf TikTok viral geht und seither die sozialen Medien, besonders aber die Popkultur der Generation Z erreicht.

Gemeint sind sportfunktional verspiegelte Sonnenbrillen, die eigentlich für Sportarten wie Radfahren und Joggen angefertigt werden. Damit können die solche Brillen tragenden Personen die Blicke ihres Umfelds in Alltags- oder Partysituationen ausblenden. Benannt nach dem Song Schnelle Brille der Dresdner Rap-Crew 01099.

valley girl vocal fry, der

Eine linguistische Neuerung aus dem kalifornischen San Fernando Valley, bei der am Satzende der »high rising terminal« verwendet wird. Um wie ein »valley girl« zu klingen, lässt die sprechende Person ihre Stimmbänder entweder mit einer klatschenden Bewegung zusammenkommen, was das erste Wort einer Aussage mit einem hohen Tonbogen untermalt. Danach erfolgt eine kurze Pause, bevor der Satz vollendet wird. Dadurch werden eigentlich nüchterne Aussagen wie »Das ist Thomas« in dieselbe Stimmung des ikonischen Valley-Girl-Ausrufs »Oh … my gosh!« gehüllt – »Das [winzige Pause] ist Thomas!«, schwankend zwischen Staunen und Entrüstung.

Eine weitere mögliche oder charakteristische Ausprägung des »valley girl vocal fry«, ist der uptalk oder upspeak in einem Satz wie zum Beispiel »Wir gehen Eis essen« oder »Ich mag Hannover 96«. Dabei werden Phrasen oder Sätze mit einem Anstieg der Tonhöhe beendet, was die sprechende Person so wirken lässt, als würde sie entweder eine Frage stellen oder unsicher sein. »Wir gehen Eis esseheen?« »Ich mag Hannover sechsundneunzihiig?«

Schnelle Brille im Club

Dreißig Minuten später sind wir in einem Clubkeller mit gruftähnlichen Wänden und ich bin ziemlich mit dem Techno und meinem Rausch beschäftigt. Ich stehe neben Maya, ihrem Freund Alex und seiner Situationship. Er trägt St.-Pauli-Zip-up-Hoodie, die Situationship lila Flanellhemd. Aber nur Maya spricht mit mir von dem als »Situationship«. Weil: Situationships sprechen dieses Wort nie voreinander aus, erst wenn es vorbei ist. Sie alle tragen Radlerbrillen, die viele junge Menschen laut Maya »schnelle Brillen« nennen (sie und ihre Freund:innen finden das Wort aber cringe), und alle tanzen super, während ich mich, wie immer, neben dem Takt bewege.

Das Gemeine an Rauschgedanken ist ja, dass sie sich wie die Betrunkenen selbst zwar an Glücksgefühlen, aber auch an plötzlich aufkommenden Zweifeln festhalten und sich von letzteren belabern lassen. Ich sehe auf meine unbeholfenen Füße, die vor sich hin tänzeln. Neben den Leuten, die hier mit abgeklärtem Nicken abhängen, muss ich aussehen wie ein Tanzschüler beim Discofox mit extremem Harndrang.

Ich hatte überhaupt nicht vor, das zu denken, aber jetzt führt kein Weg daran vorbei: Gebe ich den Jüngeren um mich herum den Ick, werde ich von ihnen schon belächelt, bevor ich mich selbst jemals zu alt für irgendwas gefühlt habe?

Eigentlich war mir das mit dem Tanzen bisher fast immer egal und mein Alter erst recht. Also schreibe ich Isabel, einer Freundin in meinem gehobenen Alter. Im Gegensatz zu mir ist sie auf TikTok, weiß, was es mit dem Ick-Abturn auf sich hat, und beruhigt mich.

»Diese ganze Ick-Sache führt dazu, dass man von anderen erwartet, überall elegant zu sein, aber das geht ja gar nicht«, schreibt sie. »Und nimm mich das nächste Mal mit, wenn du mit Maya feiern gehst!«

Ich habe das dann später nachgearbeitet. Menschen in Mayas Alter identifizieren sich noch stärker als Ältere unserer Generation über Subkulturen und lösen Überforderungen des Lebens online mit einem erhöhten Mitteilungsbedürfnis an ihre Mitmenschen. Zumindest sind das die Erkenntnisse aus Gesprächen mit Maya und ihren Freund:innen. Schon klar, empirisch ist das nicht. Dafür aber das Ergebnis einer Studie der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse aus dem Jahr 2022, die die wichtigsten Aspekte im Leben der 16- bis 26-Jährigen in Deutschland untersuchte. An oberster Stelle – weit vor materiellem Wohlstand, einer glücklichen Partnerschaft, ja sogar dem Wunsch nach einem besonders genussvollen oder selbstbestimmten unabhängigen Leben, steht das Ziel, gute Freundschaften zu pflegen und enge Beziehungen zu anderen Menschen zu haben.

Der Soziologe Heinz Bude hat in diesem Zusammenhang in einem Podcast von »gewählter Abhängigkeit« gesprochen, eine Möglichkeit zu einem belastbaren Wir, indem man sich mit Menschen in Verbindung bringt, die die eigene Selbstachtung fördern. Bude ist fast 70 und seine Einschätzung unterscheidet sich von den üblichen Berichten über die angeblich um sich selbst kreisende Generation Z und ihre Unfähigkeit, sich in romantischer oder lebensplanerischer Hinsicht zu committen, aus Angst, sich festzulegen oder etwas Besseres zu verpassen. Es stimmt ja: Maya und ich haben es heute an keinem Ort länger als eine Stunde ausgehalten. Maya hat über nichts anderes geredet als über sich und ich darüber, wie sich das von mir unterscheidet, mit dem ständigen Gedanken, wie ich dadurch wohl wirke. Und doch waren wir dabei die ganze Zeit zusammen unterwegs und haben uns miteinander wohlgefühlt.

Irgendwann habe ich Maya in dem Clubkeller auf die Schulter geklopft. »Wieso trägst du eigentlich diese Sonnenbrille im Club?«, rufe ich.

»Um mich nicht von den ganzen Blicken hier verunsichern zu lassen!«, ruft sie zurück und legt ihren Arm um mich. Dann schlägt der Bass um, und wie automatisiert rufe ich ein »Wooh!« in die Richtung des DJ-Pults.

»Und ich kann nicht tanzen!«, rufe ich fröhlich.

»Macht doch nichts!«

Wir umarmen uns, Maya lacht, ich lache auch. Maya setzt ihre Sonnenbrille wieder auf, ich schließe meine Augen.

Wir tanzen. Neben oder mit dem Takt, aber wir tanzen.

Ich will mich nicht festlegen, aber ich bin mir sicher, dass das der Beginn einer richtig guten Freundschaft ist.

Dieser Beitrag ist im Juni 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°25 erschienen.