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Arnstadt vor der WahlWunschlos unglücklich

Geht es um Autokennzeichen und Blumenkübel, kochen die Emotionen hoch. Ansonsten gibt man sich mitten in Thüringen unpolitisch.

Dort kann man nach Arnstadt fahren. Wenn man denn will Foto: dpa

Arnstadt taz | Straßenname: Am Bahnhof. Wie das an kleinen Orten halt so ist. Aber ist man hier wirklich unpolitisch? Die Wahlbeteiligung ist seit Jahren im Keller. Ausdruck von Zufriedenheit oder von Verdruss? Auch Verdruss, oder vielmehr die Loslösung vom Parteipolitischen kann ja als politische Haltung begriffen werden. Die ganze Bundesrepublik diskutiert derweil über die Distanzierung des unteren Rands der Gesellschaft von der Politik.

In Arnstadt distanziert man sich auch, nur sind es hier ebenso die Besserverdienenden. Enttäuscht vom Stillstand, vom Leerstand der Innenstadt, aber zugleich mit Kraft, Motivation und Geld, etwas anzupacken. Irgendwo zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und wirtschaftlicher Großinvestition greifen sie auf kommunaler Ebene in den politischen Alltag ein. Wie viel davon aber erträgt die in sich gekehrte Kleinstadt? Wie viel Bourgeoisie verkraftet Arnstadt?

Tanya Harding ist aus Kanada gekommen und hat ein Restaurant in Arnstadt eröffnet. Sie versucht ein wenig Weltoffenheit ins Thüringer Hinterland zu bringen, auf ihrer Menükarte findet sich ein „Vancouver Hippie Burger“, auch vegetarisch erhältlich. Eine Kellnerin empfindet das als kulinarische Blas­phemie: „Bloß nicht, das ist doch kein Burger dann!“

Hier die Städter, da die Ureinwohner

Da zeigt sich, was los ist in Arnstadt. Hier die zugezogenen Städter, die beinahe überengagiert versuchen, den Ort aus seiner Lethargie zu reißen, da die Ureinwohner, zufrieden gefangen in „ihrem“ Arnstadt.

Ihr Arnstadt, das ist ein Ort, in dem überdurchschnittlich viele Erwerbslose leben, ein Ort mit wenigen Möglichkeiten für junge Menschen, aber doch ein schönes Städtchen. Man hat zwar die Muße, sich über die Autokennzeichen-Annexion durch den Ilm-Kreis zu echauffieren, ansonsten verpufft politische Energie in Abwehrhaltung. Als Journalist wird einem schon mal Beileid ob des Berufs bekundet, oder man geht gleich drei Schritte rückwärts.

Die Allermeisten wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, Angst vor und Abneigung gegen Medien sind groß. Als taz.meinland Mitte Mai zuletzt in Arnstadt war, wurde über den zunehmenden Leerstand in der Stadt diskutiert. In diesem Jahr haben bereits rund ein Dutzend Geschäfte dichtgemacht. Klingt nicht viel. Allerdings gibt es nur rund 80 Läden Arnstadt.

Erfurt liegt vor der Haustür. Das Tor zum Thüringer Wald, wie die Bach-Stadt auch genannt wird, ist verloren inmitten von hochschulenhabenden Orten, es gibt zwar einen Industriepark, doch gerade die Vielfalt an Ausbildungsstätten ist begrenzt.

Micky Maus auf dem Wahlzettel

Was also will Arnstadt, was wünschen sich die Bürger vor den Wahlen von einer neuen Regierung? Sie klingen ziemlich hoffnungslos. Wunschlos unglücklich. Ein Hotelrezeptionist erzählt, er wird am 24. September wie immer eine Micky Maus auf den Wahlzettel malen. Kristin, ihren Nachnamen möchte sie nicht sagen, pharmazeutisch-kaufmännische An­gestellte und junge Mutter, fragt sich wie viele hier, warum deutsche Rentner in Armut leben und Geflüchtete „gutes Geld kriegen“.

Nachhaltigkeit ist ihr wichtig, sie ist Zuschauerin bei einer öffentlichen Kochshow des Stadtfests, wo Restaurantbesitzerin Tanya Harding etwas über re­gio­nale Produkten erzählt. Kristin gefällt das. Sie wird CDU wählen, besonders euphorisch wirkt sie nicht, als sie das erzählt, aber „die CDU ist die einzige Partei, die meine beruflichen Interessen vertritt“.

In einem Ort, an dem sich die Bürger an Autokennzeichen aufheizen oder an falsch gestellten Blumenkübeln im öffentlichen Raum, bleibt wohl nicht viel, als nach den beruflichen Interessen zu wählen. Und weil hier viele ebendiese nicht haben, wählen sie wohl gar nicht. Sie empfinden vieles als ungerecht, es erklärt ihnen aber auch niemand, wie es wirklich ist.

Sie sind froh, wenn sich die Politik aus ihren Belangen raushält, und im Gegenzug machen sie es genauso. Der einzige Lichtblick an diesem durchaus sonnigen Tag auf dem Stadtfest ist Puppenspieler Falk Pieter Ulke. Er kommt aus einem Nachbarort, weiß, dass die Arnstädter diesen als Konkurrenz empfinden. Nach längerem Gespräch sagt er: „Ich wünsche mir, dass es unserer Demokratie wieder besser geht.“

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