: Armes Mitte-Mädchen
Der Verblendungszusammenhang zwingt uns zu den schlimmsten Dingen. Mit „Miss Baghdad“ hat der junge Berliner Regisseur Frederic D einen so radikalen wie harmlosen Protestfilm gedreht
VON TOBIAS RAPP
Au weia, denkt man sich schon ganz am Anfang von „Miss Baghdad“. Das wird hart. Da sitzt ein Berlin-Mitte-Mädchen (als solches erkennbar an der asymmetrischen Frisur und den grünen Schatten in der Augenpartie – gespielt von Inga Königstadt) vor dem Fernseher und man hört es knallen und krachen. Irakkrieg! Erschüttert rennt sie auf die Straße und ruft: „Es ist Krieg! Es ist Krieg!“ Ein Mann bleibt stehen: der Chef einer Agentur – noch ist er nett und zuvorkommend, er lädt das Mitte-Mädchen zur Vorstellung des neuen Nike-Schuhs ein. Wir ahnen es: Er wird sich als zynisch und menschenverachtend erweisen.
„Miss Baghdad“ ist der Erstling eines jungen Berliner Regisseurs namens Frederic D. Dieser hat ihn mit äußerst wenig Geld in einer selbstgebauten Blue Box gedreht und in monatelanger Heimarbeit zusammengeschnitten. Er soll, wie der Regisseur in einem Interview sagte, eine Utopie zeigen und kompromisslos die Schwindelwelt der Werbeagenturen aufdecken. Kurz: ein radikaler Protestfilm sein. Das ist er nicht. Viel dümmer kann man Systemkritik nicht bekommen.
Das liegt nicht nur an der Handlung, die ungefähr so weitergeht: Der Agenturbösewicht glaubt in dem Mitte-Mädchen die authentische Stimme einer neuen Generation zu sehen, weshalb er sie in seine Agentur einlädt. Nach einigen Drehungen und Wendungen läuft es darauf hinaus: Um die Jugend von den Machenschaften der machthabenden Bösewichter abzulenken, organisiert die Agentur eine so genannte „Friedens-Show“, wo das Mädchen John Lennons „Imagine“ singt, während hinter ihr Werbetafeln eingeblendet werden. Doch irgendwann hält sie die Lügen nicht mehr aus, rennt wieder auf die Straße und fängt an, Reklametafeln zu übermalen. Was hier politisch ist, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Der Verblendungszusammenhang macht uns alle ziemlich fertig.
Das liegt auch daran, dass „Miss Baghdad“ zwar ein Jugend- und Protestfilm sein soll, aber vor allem die schlechten Elemente beider Genres verbindet. Die Lebensstil-Chiffren des einen und die radikale Gesten des anderen. Heraus kommt eine Vorstellung von Politik als existenziellem Drama, das um seiner selbst willen aufgeführt wird und nicht, um tatsächlich etwas zu verstehen oder zu verändern. Ein politisches Anliegen haben, sich organisieren, bündnisfähig werden – von diesem Dreisatz politischen Handelns weiß „Miss Baghdad“ nichts. Hier gibt es nur das ödipale Anrennen gegen die große Maschine. Was im Grunde auch ganz gut zu Berlin-Mitte passt und dem Teil seiner Einwohnerschaft, der sich entschlossen hat, bis kurz vor dem 40. Lebensjahr gefühlsmäßig 16-jährig zu bleiben und sich um ziellose Rebellionen und Turnschuhe zu kümmern. Bloß: Mit Politik hat das nichts zu tun. Hier artikuliert sich nichts als eine Hilflosigkeit, die ihre Schwäche auch noch zum Argument machen möchte: als Ausweis ihrer moralischen Rechtschaffenheit. Ganz davon abgesehen, dass man Nike und Marlboro einiges unterstellen kann, den Irakkrieg haben sie wohl kaum angezettelt.
Das soll nun aber auch genug sein der Schimpferei – denn der Film hat auch seine guten Seiten, wenn auch wider Willen, wahrscheinlich. Zum einen lügt der Regisseur schlicht und einfach, wenn er so tut, als würde er die allgegenwärtigen Werbetafeln als bedrohlich empfinden. Die Bilder des Films sprechen eine andere Sprache: Er liebt sie. Selten haben Werbetafeln mit so geringem Aufwand so große Wirkung gehabt. Das ist schön anzusehen. Zum anderen gibt es da die Schauspieler. Man dürfte niemandem wehtun, wenn man an dieser Stelle einmal frecherweise behauptet: Frederic D hat sie im House-Club Weekend am Alexanderplatz von der Theke weggecastet. Tatsächlich agieren sie auf eine bezaubernde Art und Weise unbeholfen – ganz so, als würden sie bei einer Schulaufführung von „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ in der Gegend herumstehen und ihre Texte aufsagen. Was aber erfrischenderweise einen nachgerade brechtischen Verfremdungseffekt hat. Unbeabsichtigt oder nicht: Sie kommen einem vor, als würden sie die Charaktermasken ihrer selbst spielen.
„Miss Baghdad“. Regie: Frederic D. Mit Inga Königstadt, Jack Rogers, Katja Weilandt. D 2006, 80 Min. Central