„Armes Deutschland!“

■ betr.: „Tausend Haßbriefe für Lübecks Bürgermeister“, taz vom 14. 2. 96

[...] Auch das Bewußtsein, daß es Gründe für solch unsägliches Gedankengut und Haßpotential geben muß, die nicht nur in der persönlichen Schuld der Schreiber zu finden sind, hilft mir kaum, ein Mindestmaß an Menschenliebe für dieselben zu bewahren. Wenn diese Fratze das Gesicht Deutschlands auch nur teilweise darstellen soll, so mein erster Gedanke, werde ich bei nächster Gelegenheit auswandern und selbst Asyl suchen. Bis dahin, Ihr lieben ausländischen Mitbürger, laßt mich nicht alleine mit diesen Deutschen! Michael Dorsch

In Anbetracht der Tatsache, daß sich die Artikulationsfähigkeiten der vielen mitteilungsbedürftigen „Grundsatzdeutschen“ in einem Sprachrahmen befinden, auf Grund dessen seinerzeitige Diktatoren wohl eigens bunte Aufnäher für die „Einheitskluft“ erfunden hätten, sollte man womöglich die „Duden-Exekutive“ anregen, ein neues Wörterbuch mit Namen „Das Fäkaldeutsch des reinblütigen Deutschländers“ herauszubringen.

Und außerdem bin ich seit dieser „Offenbarung“ für die bis auf weiteres „ausgesetzte“ Rechtschreibreform! Wobei wahrscheinlich selbst die die geistige Kapazität jener Briefschreiber überlasten würde. Armes Deutschland! Petra Singh

Bei diesen psychoklimatischen Verhältnissen, die sich in den „Briefen“ an Michael Bouteiller offenbaren, von Reinhaltung deutschen Bodens, von einem deutschen Deutschland zu sprechen, ist ein Paradoxon in sich!

Herr, laß Hirn vom Himmel regnen! / Laß die Schmierfinken sich selbst begegnen! Lars Bargmann

Wie peinlich wollen die Deutschen eigentlich noch werden? Da sitzt endlich mal jemand im Amt, der von Menschen ausgeht (erinnert Ihr euch noch, liebe Haßbriefschreiber – es gab Tote!) und noch dazu zu zivilem Ungehorsam aufruft (hurra!!!), und den panischen Deutschen fällt nichts Besseres ein, als solche unglaublichen, niveau- und geschmacklosen Briefe zu schreiben. Einige Leute scheinen aus der „Wende“ bei den Verdächtigungen und vor allem der anschließenden Diskussion über die Berichterstattung nichts gelernt zu haben.

Herr Bouteiller hat meine volle Hochachtung, für mich ist er ein Mann von Herz, Hand und Verstand, nicht zuletzt deshalb, weil er seinen Feinden sogar noch Verständnis entgegenbringen kann. Cora Cristofolini