Der Traum vom ewigen Leben

Von der Nachricht des angeblich ersten Klonbabys erhoffen sich die „Raelianer“ den kommerziellen Durchbruch. Der Einfluss der Sekte wächst ohnehin

von DOMINIC JOHNSON

Glauben Sie an das ewige Leben? Nicht? „Clonaid“ beseitigt Ihre Zweifel. Die Firma, deren Leiterin Brigitte Boisselier am vergangenen Freitag in den USA die angebliche Geburt des ersten Klonbabys der Welt bekannt gab und damit einen internationalen Proteststurm auslöste, sieht sich als Avantgarde. „Klonen“, sagt Boisselier, „ist für uns ein Weg zur einer Form des ewigen Lebens.“ Hunderte zahlender Kunden will die Firma haben, eine Million peilt sie an, und die angebliche Klongeburt ist nur die erste einer Serie. Auch falls alles gelogen ist – für Boisselier und ihre Mitstreiter ist die Nachricht vom ersten Klon der Durchbruch, um leichtgläubige Kunden zu werben. 200.000 Dollar kostet es, sich auf die Klon-Warteliste setzen zu lassen.

Für Zögerliche bietet das Unternehmen Klonversicherungen unter dem Titel „Insuraclone“ – für 200 Dollar Jahresbeitrag verwahrt Clonaid Stammzellen „an einem sicheren und vertraulichen Ort“, bis der Kunde sie braucht. „Clonapet“ bietet „das Klonen von Haustieren von reichen Einzelpersonen, die ihr verstorbenes Tier wieder zum Leben erweckt sehen wollen“.

Gegründet 1997, ist Clonaid eine Tochter der internationalen Raelianer-Sekte, deren reicher französischer Gründer Claude Vorilhon („Rael“) behauptet, dass die Menschheit per Klonen von Außerirdischen erschaffen wurde, deren Rückkehr auf die Erde bevorstehe und vorbereitet werden müsse. „Klonen wird der Menschheit ermöglichen, ewiges Leben zu erlangen“, wird „Rael“ auf der Internetseite von Clonaid zitiert. Die Sekte reklamiert weltweit 55.000 Mitglieder in über 80 Ländern und ist im kanadischen Québec, wo Rael lebt, als Kirche registriert – in Montréal erregten ihre Anhänger diesen Sommer Aufsehen, als sie vor Schulen auftraten und beeindruckten Kindern erzählten, sie kämen aus dem Weltall.

Mit einer Vermischung von religiös verbrämtem Heilsglauben, wissenschaftlichen Allmachtsträumen und dem Vertrauen in die unbegrenzten Möglichkeiten des Einzelnen können die Raelianer-Lehren in Gesellschaften, wo sowohl der christliche Glaube wie auch Science-Fiction-Fantasien einen hohen Stellenwert genießen, eine beträchtliche Wirkung entfalten. Sie gaukeln den Menschen Unsterblichkeit vor und vollführen somit gewissermaßen die Vollendung der protestantischen Reformation, deren Grundsätze von strikter Moral und Eigenverantwortung gerade in den Vereinigten Staaten die Gesellschaft prägen.

Bei der katholischen Kirche gewährt der Klerus Absolution für Sünden, und das ewige Leben ist eine Gnade Gottes nach dem Tod. Protestanten ersetzen den Ablasshandel durch die persönliche Verantwortung des Einzelnen für seinen Lebenswandel. Der Geniestreich der Klon-Enthusiasten besteht nun darin, auch die Gewährung des ewigen Lebens in die Hände des Einzelnen zu legen – der allerdings dafür zahlen muss.

Etablierte Kirchen sind dagegen, weil damit ein Gott überflüssig wird. Daher darf Clonaid auch in den USA nicht aktiv sein. Wo die Firma im März 2002 ihre angeblichen Implantate geklonter Embryos vorgenommen hat, ist Geheimnis. Eine Tochterfirma auf den Bahamas mit dem Namen „Valiant Venture“ wurde 2001 aufgelöst.

Ende September 2002 gab Clonaid die Gründung eines Klonlabors in der Elfenbeinküste bekannt. Die Einrichtung in der Hafenstadt Abidjan soll nach Angaben Boisseliers zunächst Rinder klonen, während das Personal an der von Clonaid entwickelten „Klonmaschine“ RMX-2010 geschult wird. Diese wurde in Südkorea erfunden und im Juni in Japan der Öffentlichkeit präsentiert. „Sie kann mit einem elektronischen Impuls die Fusion zwischen einer kernlosen Eizelle und dem genetischen Code eines Spenders ermöglichen“, erklärte Boisselier die Maschine.

In der Elfenbeinküste stößt der Klonglaube auf ähnlichen Enthusiasmus wie die Heilslehren der unzähligen protestantischen Sekten, deren Einfluss in ganz Afrika zunimmt. Die Raelianer predigen in Abidjan auf einem schattigen Platz mit alten Bäumen, wo eine Sekte die andere mit ihren Darbietungen ablöst. Sie haben gute Beziehungen zur regierenden „Ivorischen Volksfront“ (FPI) des sozialistischen Staatschefs Laurent Gbagbo, dessen Ehefrau Simone der Hang zum Sektentum nachgesagt wird. Der ivorische Raelianer-Chef Yves Boni nahm im Jahr 2001 sogar an Reformdiskussionen zwischen den politischen Führern der Elfenbeinküste teil.

„Afrikaner sind offener als Westler“, lobte Boisselier. Im Dezember 2001 besuchte Sektenchef Rael ganz offiziell Kongo-Brazzaville und wurde vom dortigen Staatspräsidenten empfangen. Direkt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erklärte Rael, wenn man ihn ließe, könne er die Opfer wiederherstellen.

Neuerdings gibt es von Klonbefürwortern in den USA sogar Angebote an Soldaten, die in den Antiterrorkrieg in Afghanistan ziehen: Sie sollen ihre Stammzellen hinterlegen, und falls sie im Kampf fallen, kann man sie zu Hause wieder nachmachen. Und in Burkina Faso warnte eine Zeitung zum wachsenden Einfluss der Raelianer, ein Klonerfolg könnte den alten Diktatorentraum von ewiger Herrschaft erfüllen.