Lass es fließen!

REVIVAL Mit Karlheinz Stockhausens „Originalen“ startete die Staatsoper ihre Reihe zur Wiederbelebung der Fluxus-Bewegung

VON KATHARINA GRANZIN

Immer zum Sommer hin, wenn sich das Repertoire dem Saisonschluss zuneigt, ist an der Staatsoper im Schillertheater manchmal Unerhörtes zu hören. Unter dem Titel „Infektion!“ findet alljährlich ein kleines, feines Festival neuer Bühnenmusik statt. Diesmal ist ein Teil davon einer Kunstbewegung gewidmet, die in den frühen sechziger Jahren Wellen schlug. „Fluxus reloaded“ nennt sich die Reihe, die in den nächsten zwei Wochen zahlreiche Produktionen aus dem Fluxus-Dunstkreis zeigen wird.

Fluxus lässt sich vielleicht am ehesten als antibürgerliches Kunstwollen begreifen, in dem allein der schöpferische Gedanke zählt, die herkömmlichen Erwartungen des Publikums an die Kunst als Sinnproduktionsmaschine aber durch eine zufällig scheinende Abfolge der gezeigten Ereignisse radikal enttäuscht werden. Das kann heute nicht mehr auf dieselbe Art funktionieren wie einst. Wir lassen uns von der radikalen Abkehr von herkömmlicher Form- und Sinngebung längst nicht mehr so entzücken noch entsetzen, wie das bei unseren Großeltern oder Eltern der Fall gewesen sein mag. Daher erstaunlich, wie inspiriert Karlheinz Stockhausens „Originale“ in einer neuen Eigenproduktion der Staatsoper, mit der die Reihe am Samstag eröffnete, heute noch wirkt.

Die Werkstatt des Schillertheaters ist ein wunderbar unprätentiöser kleiner Bühnenort. Man fällt praktisch von der Straße gleich ins Zentrum des Geschehens hinein: Auf einem Stufenpodest in der Mitte des Raums sitzen und stehen, wie eine Fluxus-Variante der alten Benetton-Werbung, die DarstellerInnen des Abends, die kaum unterschiedlicher in Haut- und Haarfarbe, Kleidungsstil und Alter sein könnten. Ein Pianist (Adrian Heger), eine Schlagzeugerin (Ni Fan) und ein Mann mit Mischpult (Sébastien Alazet) erzeugen Musik, während die anderen Personen geheimnisvoll choreografierte Bewegungen andeuten oder ausführen, mit ihren Feuerzeugen bedeutungsvoll ein Flämmchen quer durch den Raum zu schicken scheinen oder mit offenem Vogelbauer durch die Gegend irren und ihren Kanarienvogel suchen („Hansi?“).

Ein kleiner Roboter ist auch dabei. Er ist ein Mädchen, was sich daran erkennen lässt, dass „Grace“ auf seiner Brust steht, und kommt von der FU. Das steht auf dem T-Shirt des Studenten, der sie auf dem Schoß hat. Grace kann sogar laufen, aber vorerst winkt sie nur. Die Zuschauerschaft muss stehen bleiben, bis irgendwann der Regisseur Georg Schütky – der sich selbst also einen Regisseur spielt, so wie auch der Dirigent Max Renne sich selbst also einen Dirigenten spielt – mit den Zähnen das Plastik-Absperrband durchtrennt, das uns von dem Podium trennt. Da dürfen wir uns setzen, während die anderen sich im Raum verteilen und im weiteren Verlauf der eineinhalb Stunden allerlei rätselhafte Dinge tun. Der Regisseur lässt verschiedene SchauspielerInnen verschiedene Texte lesen, die alle in sich Sinn ergeben mögen, insgesamt aber gar keinen. Dabei zeigt er mit einem langen Stab auf unbestimmt redundante Weise mal hierhin oder dorthin.

Und auch wenn der Dirigent ein Trüppchen SprecherInnen vor sich versammelt, um einen disparaten Sprechchor zu dirigieren, bei dem jede und jeder ganz ihrem eigenen Track zu folgen scheint, ist von außen schwer zu entscheiden, was an diesem Dirigat eigentlich notwendig ist und was markiert, was an der Abfolge zufällig und was geplant ist. In Wirklichkeit folgt vermutlich das allermeiste sehr genauen Vorgaben.

Stockhausen, der „Originale“ zusammen mit der Fluxus-Künstlerin Mary Bauermeister schrieb, mit der er auch verheiratet war, hatte in seine Partitur auch Bewegungsabläufe und Sprechrhythmen sowie -tempi integriert, also wenig dem Zufall überlassen. Die Freiheiten, die es gibt, aber werden ausgenutzt. Zum Beispiel für die musikalische Einlage der AktionsmusikerInnen von Antinational Embassy, die das Publikum für zehn Minuten geradezu mitreißen und ganz nebenbei demonstrieren, dass Fluxus auch politisch gemeint sein kann. Damals natürlich mehr als heute.

Aber auch heute freuen wir uns immer noch an so dadaistischen Gesten, wenn der Pianist das Gesicht grün angemalt kriegt, die Schlagzeugerin in ein Imkerkostüm schlüpft, eine Schauspielerin, die eine lebensgroße Puppe mit sich führt, in verschiedenen Stimmen mit verschiedenen Monitoren spricht und was sonst noch so passiert. Ja, natürlich werden auch Filme an die Wand projiziert und sowieso permanent Kostüme gewechselt. Zwischendurch geht ein frisch entwickeltes Foto im Publikum herum. Schwer zu sagen, was darauf zu sehen ist. Wer will bei so vielen schönen Angeboten noch nach dem Sinn und Wesen der Kunst fragen? Kunst ist, wenn man dabei ernst bleibt.

■ Weitere Aufführungen von „Originale“: 24., 25., 27. Juni