Im Zickzack das Wesen durchdringen

RETROSPEKTIVE In England zählt Frank Auerbach längst zu den Malergrößen. Eine Bonner Schau würdigt ihn jetzt auch in Deutschland

„Um ein großes Bild zu schaffen, muss man ein gutes zerstören“

FRANK AUERBACH, MALER

VON KONSTANTIN ALEXIOU

Einsiedlerisch, berserkerhaft, ohne augenfälliges Kunstmarktbewusstsein: Diese Eigenschaften könnte man vielen großen Malern des 20. Jahrhunderts bescheinigen. Auf Frank Auerbach treffen sie auch zu: Täglich soll sich der 1931 in Berlin geborene Künstler im Londoner Bezirk Camden Town abschotten und wie ein Besessener seinen Studien nachgehen. Seit sechzig Jahren arbeitet er im selben Atelier. Auftritte in der Kunstszene sind selten. In England zählt Auerbach neben Francis Bacon und Lucian Freud zu den Malergrößen der „School of London“, einer losen Gruppe von Künstlern, die in den fünfziger Jahren an der gegenständlichen Malerei festhielten, obwohl der abstrakte Expressionismus aus Amerika auch in der britischen Hauptstadt den Ton angab.

Allen voran die menschliche Figur galt diesem Kreis als verteidigungswürdiges Sujet. Bacons abgründige Introspektion schlug sich in expressiv-surrealen deformierten Körpern nieder, Freud machten seine realistischen, von dramatischer Fleischlichkeit bestimmten Aktbilder berühmt. Mit beiden Künstlern war Frank Auerbach befreundet. Mit Freud teilte er auch die jüdische Herkunft. Auerbachs Cousin ist der verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Als Siebenjähriger wurde der Künstler in Nazi-Deutschland von seinen Eltern, einem Patentanwalt und einer kunstnahen Litauerin, nach England geschickt – durch die 1938/39 von Quäkern initiierte Rettungsaktion für jüdische Kinder.Die Eltern sah der Junge nicht wieder. 1943 wurden sie in Auschwitz ermordet.

Das Kunstmuseum Bonn präsentiert nun eine zusammen mit der Tate Britain erarbeitete Retrospektive des in englischen Fach- und Sammlerkreisen hoch geschätzten, in Deutschland aber nur wenig rezipierten Porträt- und Stadtmalers. Die Konzeption der Ausstellung hat Auerbach selbst übernommen. Gemeinsam mit der Kuratorin Catherine Lampert, die für ihn seit fast vierzig Jahren Modell steht, wurde die Schau chronologisch eingerichtet.

In einem Raum zeigt Lampert eine eigene Auswahl von Werken, einen Querschnitt, der ihre enge Beziehung zum Maler unterstreicht. Für seine Werkreihe „Heads“ arbeitet Auerbach seit jeher auch mit seiner Frau Julia. In den fünfziger und sechziger Jahren ist hier ein dichter, von Erdfarben dominierter, stark pastoser Auftrag typisch. In langwierigen Prozessen kratzte Auerbach die mit Pinsel, Hand und Messer aufgetragenen Ölfarben immer wieder ab und brachte sie erneut an. „Um ein großes Bild zu schaffen, muss man ein gutes zerstören“, sagte er in einem Interview.

Ringen ums perfekte Bild

Die Porträtierten sind in den reliefartigen Bildern nicht zu erkennen, vom Realismus Lucian Freuds sind die Arbeiten weit entfernt. Wegen seiner Treue zu seinen Modellen wird Auerbach gern mit Rembrandt verglichen. Sein Auge geschult hat er auch bei Dürer und Tizian. Mit den Jahren lichtete sich das Dunkel, es entstanden expressive dynamische Kompositionen mit reicheren Farben, aus denen sich die Köpfe herausschälen. Der Gesichtsausdruck hat mitunter etwas von Karikaturen, das Pastose ist deutlich zurückgegangen.

Auerbachs Ringen um das perfekte Bild bringt bisweilen die jahrelange Beschäftigung mit dem Werk mit sich. Von seinen Sammlern hat er sogar Bilder zurückgekauft, wenn er das Gefühl hatte, an ihnen müsse er noch weiterarbeiten. Seinen Motiven ist er seit sechs Jahrzehnten treu geblieben.

Für seine Ansichten vom Prime Rose Hill im Londoner Regent’s Park fertigt Auerbach unzählige Skizzen vor Ort an, um sie in monatelanger Arbeit auf die Leinwand zu übertragen. In einem Wirrwarr aus Strichen und Zickzacklinien offenbaren sich zeitlose Stadtlandschaften. Manche Farbgebung erinnert gar an van Gogh. Eine farbintensivere Reihe aus den Neunzigern zeigt die Umgebung nahe der Haltestelle Mornington Crescent. Die Anzahl der Pinselstriche hat Auerbach hier sogar erhöht.

In seiner neuen Heimat (1947 wurde er britischer Staatsbürger) dauerte es aber, bis Auerbach die Anerkennung bekam, die seine verstorbenen Künstlerfreunde Bacon und Freud erfuhren. Seine erste Überblicksschau in London hatte Auerbach erst im Jahre 1978. Internationaler Höhepunkt: als er 1986 bei der Biennale von Venedig den Goldenen Löwen erhielt. Außerhalb Großbritanniens fand man allerdings auch anschließend nur schwer Zugang zu seinem Oeuvre. Die letzte größere Ausstellung in Deutschland gab es vor dreißig Jahren.

Tatsächlich versperrt Auerbachs materialbetonte Malerei zunächst den Blick. Bacons und Freuds gebrochene Emotionalität liegt radikal offen, bei Auerbach tut sich nur langsam und aus der Distanz heraus eine Stimmung auf. Seine Bilder müssen wachsen.

In der übersichtlich gehängten Ausstellung, die im Anschluss an die Tate geht, sind außerdem Kohle- und Kreidezeichnungen zu sehen; Porträts, bei denen erneut Auerbachs Bemühung erkennbar wird, durch die Dynamik der zahllosen Striche Eigenheit und Wesen einzufangen. Als Schwergewicht von einem Künstler kann man ihn ruhig bezeichnen.

■ bis 13. September, Kunstmuseum Bonn, Katalog (Tate Publishing) 32 Euro