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Barrierefrei bis nach Hawaii

UNRUHESTAND Ältere Reisende sind für die Tourismusbranche wichtig: Sie haben viel Zeit und zahlen gerne für Qualität und Komfort – doch Einzelzimmer-Aufschläge sind ein rotes Tuch. Bei der Reiseplanung hängt vieles von der eigenen Mobilität ab

Bei barrierefreien Angeboten stehen deutsche Anbieter nicht an der Spitze

VON ANSGAR WARNER

Ob jung, ob alt, die Deutschen sind reiselustig: 55 Millionen Urlaubsreisende unternahmen im letzten Jahr über 70 Millionen Trips. Am häufigsten waren dabei SeniorInnen unterwegs. Ursula Lenz wundert das nicht: „Insbesondere jüngere Senioren holen erst einmal nach, was sie während ihres Arbeitslebens nicht geschafft haben“, so die Pressereferentin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO). Im hohen Alter würde natürlich auch die sinkende Mobilität eine Rolle auf die Reiseform spielen. „Aber Menschen sagen eigentlich in jedem Alter: ‚Ich möchte reisen, das tut mir gut‘“, so Lenz.

Reisende Rentner auf allen Breitengraden gehören auch für Claudia Gilles zum Alltag. „Das Reiseverhalten ändert sich nicht automatisch, wenn das Berufsleben vorbei ist, wer schon bisher gerne die Welt entdeckt hat, wird auch im Ruhestand eher nach Mexiko reisen als nach Bad Oeynhausen“, so die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Tourismus Verbandes (DTV). Davon würde Deutschland als Reiseland profitieren, gleiches gelte für andere Ziele.

Der demografische Wandel lässt die Reisebranche gelassen in die Zukunft blicken. „Wir gehen davon aus, dass die Bundesbürger im Jahr 2025 in etwa genauso viele Urlaubsreisen unternehmen wie derzeit“, berichtet Bente Grimm von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V. (FUR).

Reisende Rentner spielen in den Prognosen der FUR-Forscher eine zentrale Rolle, ihre Zahl wird wachsen, weil die jetzt noch Jüngeren ihre Reisegewohnheiten beibehalten. „Wir erwarten, dass bedingt durch den demografischen Wandel in der Altersgruppe der über 60-Jährigen die Zahl der Urlaubsreisen um sechs Millionen zunimmt und damit der Marktanteil von derzeit 30 Prozent auf 39 Prozent steigt“, so Grimm.

Ist die Tourismusbranche auf die Generation 60 Plus wirklich vorbereitet? Ursula Lenz vom BAGSO kennt sich mit den Bedürfnissen der älteren Reisenden gut aus. „Bei der Reiseplanung hängt viel von der eigenen Mobilität ab. Braucht man ein Hotel, das barrierefrei und verkehrsgünstig gelegen ist? Wichtig sind aber auch Fragen wie: Welches Essen wird angeboten? Gibt es für allein Reisende Einzelzimmer ohne einen völlig überhöhten Aufpreis?“

Letzteres Ärgernis sorgt auch bei Claudia Gilles vom DTV für Kopfschütteln: „Hoteliers könnten bei der Zielgruppe von alleinreisenden, älteren Menschen besonders punkten, wenn Einzelzimmer ohne Aufschläge angeboten würden.“

Doch auch in puncto Komfort für ältere Reisende sei das Bild derzeit nicht ungetrübt: „Bei barrierefreien Angeboten steht die Tourismusbranche in Deutschland international nicht an der Spitze, hier haben uns die angelsächsischen Länder und Skandinavien bisher einiges voraus“, bestätigt Claudia Gilles ein aktuelles Problem. Doch Deutschland hole auf, zum Beispiel mit der Zertifizierungsinitiative „Reisen für alle“.

Unter diesem Motto wird bundesweit ein einheitliches Kennzeichnungssystem für barrierefreien Tourismus eingeführt, mit dem etwa Hotels um Gäste werben können. Wie ein Blick auf die vom Deutschen Seminar für Tourismus (DSFT) in Berlin entworfenen Piktogramme zeigt, geht es nicht nur um Rollstuhlfahrer, sondern auch um Menschen, die etwa schlecht sehen, schlecht hören oder kognitiv beeinträchtigt sind.

„Inzwischen wurden von ausgebildeten Erhebern vor Ort bereits mehr als 400 Betriebe zertifiziert“, so Jan Schiefer vom DSFT. Man erhoffe sich von dem System eine Signalwirkung im doppelten Sinn: „Einmal für die potenziellen Kunden, die sich vorab informieren können, zum anderen für die Betriebe, die motiviert werden, sich in puncto Barrierefreiheit zu verbessern.“

Auch Reiseveranstalter könnten auf diese Weise dazulernen. Vorreiter auf dem Gebiet der Seniorenreisen waren bisher oft Wohlfahrtsverbände wie das Rote Kreuz, die AWO oder Caritas – ältere Menschen sind ihnen als Klientel ja bestens vertraut. Der DRK Reise-Service etwa organisiert bereits seit den neunziger Jahren betreute Flugreisen in bekannte Baderegionen rund um das Mittelmeer. Die altersgerechte Unterstützung beginnt bereits an der eigenen Haustür mit einem Abhol- und Bringeservice. Zum Standard gehören zudem ein Schlüssel von einem Betreuer pro zehn Reisegästen sowie eine Reiseleitung, die bei Bedarf 24 Stunden vor Ort ansprechbar ist.

Vieles wird wohl in Zukunft das Nachfrageprinzip regeln. Senioren seien für die Reisebranche eine sehr interessante Zielgruppe, findet Sibylle Zeuch vom Deutschen ReiseVerband: „Viele sind zum einen finanziell gut gestellt, zum anderen haben sie Zeit, und sie können vor allem auch reisen, wenn andere arbeiten müssen.“ Ältere Urlauber würden zwar besonderen Wert auf Qualität und Service legen, doch der Aufwand lohne sich: „Senioren sind auch bereit, dafür entsprechend mehr zu bezahlen.“

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