Gefeuertes Markenzeichen

Sergej Lochthofen führte fast 20 Jahre lang die „Thüringer Allgemeine“. Nun muss der letzte gewählte Chefredakteur der Republik gehen

Die Revolution begann am Kaffeetisch. In einer Kantine im alten Verlagshaus am Erfurter Juri-Gagarin-Ring wurden im Herbst der DDR die Pläne geschmiedet, die aus dem SED-Blatt Das Volk im Januar 1990 die Thüringer Allgemeine (TA) machten. Redakteure, Drucker und Verlagsmitarbeiter setzten die alten Kader ab – und wählten einen Mittdreißiger zum Chefredakteur: Sergej Lochthofen. Der wurde bald zum Markenzeichnen nicht nur der TA, sondern überhaupt für ernst zu nehmenden Journalismus in den neuen Ländern.

Doch nun wollen sie ihn nicht mehr, und vor allem die Art, wie er abgesetzt wurde, hat den 56-Jährigen tief getroffen. Zum 1. Januar soll er gehen, so haben es die Herren des Essener WAZ-Konzerns beschlossen. Und ihm huldvoll angeboten „eine andere Aufgabe innerhalb der WAZ Mediengruppe“ zu übernehmen, „die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht“. Dass auch Lochthofens Frau Antje geschasst wird, will der Chefredakteur, der gestern wie üblich zum Dienst erschien, nicht hinnehmen: Das sei „Sippenhaft“, sagt Lochthofen, dessen Vater einst unter Stalin in Workuta saß.

Der Streit zwischen der Essener WAZ-Zentrale, in der nun der Ex-Springer-Mann Christan Nienhaus den Ton angibt, und den Lochthofens eskaliert. Dabei schien die WAZ-Gruppe, die sich schon früh und an der Treuhandanstalt vorbei eine Beteiligung an der TA angelte, in Thüringen zunächst alles richtig zu machen: Sie verordnete der Zeitung keine Westimporte für die Chefredaktion und andere leitende journalistische Aufgaben. Die Ersten, die aus dem Westen zur TA geschickt wurden, waren Volontäre. Nun dürfte der TA das drohen, was über die meisten Blätter in den neuen Ländern schon vor 20 Jahren hereinbrach, sagen Mitarbeiter: eine Existenz an der kurzen Leine des Westverlags, der vor allem eins will: sparen. Doch Lochthofen war gegen die vom Verlag beabsichtige Einführung eines Newsdesks für die Regionalausgaben – und setzte stattdessen auf die Verstärkung der redaktionellen Kompetenz vor Ort und auf lokale Verankerung.

Der neue WAZ-Kurs wäre mit Lochthofen nicht so leicht durchzusetzen. Die WAZ hat Angst vor ihm. Heute porträtiert die Redaktion den letzten gewählten Chefredakteur der Republik im eigenen Blatt. STEFFEN GRIMBERG

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