„Ich muss zum nächsten Planeten weiterreisen“

Yvonne Buschbaum war eine Weltklasse-Stabhochspringerin. Statt in Peking um Olympiagold zu springen, entschied sie sich letzten Herbst, ein Mann zu werden. „Ich wusste, dass mich Größeres erwartet“, sagt Balian Buschbaum

BALIAN BUSCHBAUMGeboren: 14. Juli 1980 in Ulm. Privat: ledig. Beruf: Sportsoldat. War als Yvonne Buschbaum eine Weltklasse-Stabhochspringerin. Größte Erfolge: zwei dritte Plätze bei den Leichtathletik- Europameisterschaften 1998 und 2002 sowie der sechste Platz bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney –Bestleistung: 4,70 m. Wendepunkt: Gab im November 2007 das Ende seiner sportlichen Karriere bekannt und gleichzeitig die Entscheidung, ein Mann zu werden. Zum taz-Gespräch traf sich Buschbaum mit taz-Autorin Jutta Heess in der Bastion von Schönborn am Rheinufer in Mainz-Kastel.

INTERVIEW JUTTA HEESS

taz: Herr Buschbaum …

Balian Buschbaum: Balian ist mir lieber. „Herr Buschbaum“ ist noch ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Mir fehlt dazu der Rauschebart. Man braucht eben so seine Zeit, bis man sich selbst daran gewöhnt hat.

Der neue Vorname passt?

Ja, absolut. Den Namen Balian hatte ich schon lange im Kopf. Ich kenne den Namen aus dem Film „Königreich der Himmel“. Dort verliert ein Mann alles und begibt sich auf eine Reise, bei der er sein wahres Ich entdeckt. So ergeht es mir auch gerade. Der Name Yvonne ist mit dem Rücktritt vom Stabhochsprung gestorben.

Sie hätten die Chance gehabt, im Sommer bei Olympia in Peking zu starten, das ist der Traum vieler Athleten. Sie haben sich dagegen entschieden, um ein Mann zu werden.

Klar, ich wusste, da steht Peking vor der Tür, aber das interessiert mich jetzt nicht mehr. Ich habe die Olympischen Spiele 2000 in Sydney erlebt. Der Sport ist eine kleine Welt. Und ich merke jetzt, wo ich ausgebrochen bin, dass ich mich dort ähnlich wie in meinem Körper gefangen fühlte. Ich habe dem Sport viel zu verdanken, trage aber dieses Gefühl in mir, dass mich Größeres erwartet. Die Welt besteht nicht nur aus Sport und schon gar nicht nur aus Spitzensport. Ich gebe meine Karriere auf, um meinen Traum zu leben. Wieso sollte ich darauf noch zwanzig Jahre warten? Ich will es jetzt tun, mein Leben ist zu kurz, um mich weiter in einer Warteschleife zu befinden.

Vielleicht wagen Sie eines Tages ein Comeback als Stabhochspringer?

Ich kann es mir nicht vorstellen. Zumal ich mit einem weiblichem Körper geboren wurde. Ich hätte wahrscheinlich keine Chance in der Männerkonkurrenz.

Laut IOC dürften Sie.

Ja, es gibt eine Klausel für transsexuelle Sportler. Ich dürfte nach geschlechtsangleichender Operation und mindestens zweijähriger Hormonbehandlung bei den Männern starten. Ich werde weiter für mich Sport machen, zumal Stabhochsprung meine große Leidenschaft ist. Dieses Gefühl, über die Latte zu fliegen, ist einzigartig. Doch kann ich mir nicht vorstellen, noch einmal wirklich anzugreifen.

Sie lassen sich regelmäßig männliche Hormone spritzen. Was wäre, wenn Sie jetzt zum Dopingtest müssten?

Ich wäre positiv, könnte aber auch Weltrekord springen.

Sie spüren Veränderungen?

Nach der zweiten Spritze bin ich schon in den Stimmbruch gekommen. Ich stecke immer noch halb drin. Ich muss mich auch schon im Gesicht rasieren und freue mich über jeden weiteren Stoppel. Ich bin sofort mit meinen Kraftwerten hochgegangen und verspüre eine gewisse Leichtigkeit in der Schnelligkeit und der wachsenden Sprungkraft. Eigentlich darf ich gar nicht darüber sprechen, weil es Werbung fürs Dopen ist.

Als aktive Sportlerin war Doping für Sie keine Versuchung?

Ich war von Anfang an strikt dagegen. Ich hätte mir niemals vorstellen können, zu dopen. Eine Leistung, die ich nicht mit meinem eigenen Körper erbringe, ist für mich nichts wert. Das ist reine Charaktersache. Aber jetzt muss ich es machen.

Künstlich zugeführte männliche Hormone haben aber Nebenwirkungen.

Mir ist es auf der einen Seite schwergefallen, diesen Schritt zu gehen, denn es ist ja Chemie, die mir gespritzt wird. Auf der anderen Seite kann ich nicht anders und erfreue mich jeden Tag an den Fortschritten. Ich muss darauf achten, viel zu trinken. Sonst werden die Nieren angegriffen. Ich vertrage die Spritzen gut und fühle mich gesund und fit. Ich möchte mir nicht ausmalen, was geschieht, wenn man die Spritzen nicht unter ärztlicher Aufsicht bekommt. Es können zum Beispiel schwere Organschäden entstehen.

Ein Risiko, das viele Sportler bereitwillig eingehen.

Ja, es gibt so viele Zeichen, die darauf hinweisen, dass viele Sportler und Sportlerinnen dopen. Ich kann es jetzt noch besser nachvollziehen, da mein Körper diese Veränderungen durchgemacht hat. Ich würde vor allem dopende Frauen mit bloßem Auge erkennen.

Sie könnten also als Undercover-Dopingagent arbeiten?

Man muss die Sportler zum richtigen Zeitpunkt erwischen, um Beweise zu haben. Wenn man sich so manche Sportlerin näher betrachtet, erkennt man männliche Züge, einen vorgeschobenen Unterkiefer, Bartwuchs, eine tiefere Stimme. Es ist traurig, dass es immer noch dopende Sportler gibt. Solange die Sportwelt nicht wirklich sauber ist, sind meiner Meinung nach viele Weltrekorde mit Schmutz und nicht mit Fleiß erbracht.

Sie haben in den letzten Jahren mit vielen Verletzungen kämpfen müssen.

Meine rechte Achillessehne ist mir gerissen und musste operiert werden. An der linken Achillessehne wurde ich dreimal operiert. Ab 2004 kam ich nie mehr aus der Schmerzsituation heraus.

Ausgerechnet die Achillessehnen.

Man sagt, dass die Achillessehne für die Seele steht. Wenn sie verletzt ist, ist man nicht mit sich im Reinen. Und ich war mit mir nicht im Reinen. Ich habe die Zeichen aber ignoriert. Irgendwann hat der Körper nicht mehr mitgemacht. Ich kam immer mehr ins Grübeln und hatte letztes Jahr die Einsicht, dass der Sport zwar schön ist, aber dass ich weiter reisen muss, um den nächsten Planeten zu erreichen.

Was haben Sie dann getan?

Ich habe mich mit einer befreundeten Ärztin unterhalten, die mir dann einen schnellen Termin bei einer Psychologin besorgt hat, die auf Transsexuelle spezialisiert ist. Ich habe die Karten auf den Tisch gelegt. Seitdem bin ich schmerzfrei und für diese Rettung dankbar. Ich trainiere weiter, weil ich das brauche. Dass ich jetzt keine Schmerzen mehr beim Springen habe, bestätigt mich noch mehr in meiner Entscheidung, ein Mann werden zu wollen. Ich habe überhaupt keine Zweifel daran, dass es nicht der richtige Weg ist. Alles, was jetzt kommt, ist nur noch Freude pur. Das ist kein Kampf mehr, das sind keine Schmerzen mehr, sondern das ist das Leben, das ich mir vorgestellt habe. Übrigens hat mich in einem symbolischen Akt auch meine kleine Welpenhündin überzeugt.

Wie das?

Hunde sind meistens schlauer, als wir erahnen können. Philoue war zu diesem Zeitpunkt noch nicht stubenrein. Ich habe eine Kiste mit meinen Autogrammkarten als Stabhochspringerin unter einen Schrank gepackt. Eines Morgens merkte ich, dass es aus der Ecke komisch riecht. Sie hat es tatsächlich geschafft, die Kiste mit der Pfote ein wenig vorzuziehen, um drüberzupinkeln.

Es war wirklich keine überstürzte Entscheidung, ein Mann zu werden?

Nein, die Entscheidung ist über Jahre gereift. Ich habe mich seit meiner Kindheit als Junge gefühlt. Meine Familie hat mich so hingenommen wie ich war: Puppen haben mich gelangweilt. Stattdessen bin ich mit den Jungs durch die Gassen gezogen und habe mit ihnen Fußball gespielt. Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich darüber nachgedacht, ein Mann zu werden. Ich war einfach noch nicht bereit, meinen Weg zu finden. Es ist wichtig, dass man sich diese Zeit nimmt, um diesen Schritt zu gehen. Er erfordert Kraft, Mut und Selbstbewusstsein. Vor allem darf man sich deshalb nicht verstecken, denn es gibt keinen Grund. Es hätte jedem passieren können, im falschen Geschlecht geboren worden zu sein.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie sich in Ihrem Frauenkörper unwohl fühlen?

Man denkt in der Kindheit nicht über sein Sein nach, man ist vollkommen unbeschwert. Spätestens als ich in die Pubertät gekommen bin, habe ich gemerkt, dass etwas nicht passt. Vorher war ich zum Beispiel immer bloß in Badehosen mit meinen Eltern am Strand. Jetzt sollte ich plötzlich Bikini tragen. Ich habe gedacht: „Was soll das? Spinnt ihr eigentlich? Das will ich nicht!“ Meine Eltern haben mich zum Glück immer das machen lassen, was ich wollte.

Gibt es Gründe für Transsexualität?

Mir war die Frage nach dem Warum sehr wichtig. Ich habe auch mit Ärzten und Wissenschaftlern darüber gesprochen. Sie sagen, dass Transsexualität wissenschaftlich noch nicht zu begründen sei. Sie gehen davon aus, dass es nicht mit der Erziehung oder dem Umfeld zu tun hat, sondern dass es genetisch bedingt ist. Viele Thesen deuten darauf hin, dass im Mutterleib der Androgenspiegel zu hoch war. Ich glaube fest daran, weil ich mich von klein auf als Junge gefühlt habe.

Haben Sie Kontakt zu anderen Transsexuellen? Eigentlich soll man ja „Transidentiker“ sagen, weil …

Wie Sie es nennen, ist mir wurst. Wichtig ist mir, dass es verstanden wird. Bewusst habe ich den Kontakt zu anderen Transsexuellen nicht gesucht. Ich hatte eine gewisse Sperre. Ich wollte meinen Weg gehen und nicht den Weg, den ein anderer Transsexueller gegangen ist. Mir haben aber viele Menschen – sowohl Transsexuelle als auch andere – nach meinem Outing geschrieben und mir von ihrem Schicksal erzählt. Das hat mich teilweise sehr berührt.

Inwiefern?

Die Menschen haben mich sehr bewegt. Es haben mir Rentner, Sportler und an Sport vollkommen Desinteressierte geschrieben, Frauen, Familien und natürlich auch Leidensgenossen, die verstanden haben und mir ihre Worte und Wünsche auf meinen neuen Lebensweg mitgeben wollten. Wenn ich aber zum Beispiel lese, dass jeden Tag ein transsexuelles Kind auf die Welt kommt, dann frage ich mich: Wo sind die alle? Sie verstecken sich, fangen ihre Hormontherapie an und lassen ihr altes Leben hinter sich. Die Vergangenheit gehört doch zu einem Menschen dazu. Man braucht jemand, um darüber zu sprechen, und da gehören die Freunde und das Umfeld mit dazu.

Das heißt, Sie wollen Ihr Leben als Frau nicht vergessen?

Ich habe mich nie als eine gefühlt und auch nicht so gelebt. Wovor soll ich flüchten? Ich will mein altes Leben bewahren und ein neues anfangen. Mein Leben ist rund wie ein Kreis, und wenn eine Hälfte fehlt, wäre der Kreis nicht geschlossen. Ich möchte auf das vorherige Leben nicht verzichten. Es sind so viele schöne Erinnerungen in mir, vom Sport, von meinen Freunden. Mit ihnen möchte ich weiterleben.

Wie haben Ihre Familie und Ihr Freundeskreis reagiert, als Sie ihnen mitteilten, dass Sie ein Mann werden?

Als wäre es das Normalste der Welt! Meinen Freunden war es sowieso klar. Sie haben mich nie mit meinem Vornamen angesprochen, sondern Spitznamen aus meinen Nachnamen geformt: Baumi, Bäumchen, Wunderbäumchen. Als ich dann meine Entscheidung, ein Mann zu werden, mit Brief und meinem neuen Siegel verschickt habe, sagten sie, das sei der logischste Schritt von allen meinen Schritten gewesen. Sie waren froh, dass ich meinen Weg gefunden habe. Meine Familie hat etwas länger gebraucht, um zu verstehen und den Fehler nicht bei sich zu suchen. Sie benötigten viele Gespräche, aber die Zeit haben wir uns auch genommen.

Möchten Sie sich auch operieren lassen?

Die Bürokratie verlangt von mir eine Menge Geduld. Ich bin ziemlich genervt von diesem Papierkram und den fortwährenden Beweisen. Wenn ich eine aus meiner Sicht einfache Vornamensänderung beantrage, muss ich gefühlte hundert Monate darauf warten. Ich habe das Gefühl, mich in dieser Zeit ein bisschen zum Clown zu machen. Ich kam mir ein wenig vor wie Wilhelm Buschs „Es sitzt ein Vogel auf dem Leim“. Wenn man nicht mitlacht und munter vor sich hin quinquiliert, könnte man verloren gehen.

Sind die Operationen nicht auch riskant?

Sich die Brüste abnehmen zu lassen ist kein Problem. Es kommt immer auf den Ausgangswert an. Als Sportler hat man sowieso wenig Fettgewebe und ist sehr durchtrainiert. Es gibt Spezialisten, die ihr Handwerk verstehen. Man sieht hinterher nichts mehr. Der künstliche Penisaufbau wiederum ist ziemlich schwierig. Es gibt keine standardisierte Operation. Ich habe mich da natürlich schon informiert und bin auf einen Künstler gestoßen …

Künstler?

Ja, ein Arzt aus der Schweiz, der sich auf die Penisoperation spezialisiert hat. Er hat sozusagen den Oscar in der Tasche.

Den Penis-Oscar?

Ja, genau. Er hört während der Operation Mozart. Da ist für mich doch schon alles klar. Ich bin fest entschlossen, diese Operation durchführen zu lassen. Ich mache keine halben Sachen. Es wird hoffentlich noch dieses Jahr passieren.

Kinder können Sie dann keine bekommen?

Ich wäre gerne der leibliche Vater meiner zukünftigen Kinder geworden, aber das geht ja leider nicht. Auch viele biologische Männer können keine Kinder kriegen. Das ist zwar traurig, aber jeder muss Abstriche in seinem Leben machen.

Viele dachten, Sie seien lesbisch.

Ja, so fühlte ich mich aber nicht. Es haben sich immer nur heterosexuelle Frauen in mich verliebt. Ich war für sie immer der Mann. So bin ich, und alles andere wäre ein Schauspiel.

Sie sahen auch in Ihrer aktiven Zeit schon sehr männlich aus.

Ich habe mich so weit hochtrainieren können, dass ich, bis auf wenige Details, sehr männlich aussah. Der Kraftraum war mein zweites Zuhause. Wo andere Mädels befürchtet haben, zu viele Muskeln zu bekommen, habe ich gesagt: „Komm, ich übernehme deine Einheit auch noch.“ Wenn ich mit meiner Freundin durch die Stadt gelaufen bin, hat mich niemand als Frau angesehen, sondern uns als heterosexuelles Pärchen. Der Sport und mein Erfolg waren meine Rettung. Sie vermittelten Selbstbewusstsein und Disziplin. Wenn ich in einen 08/15-Beruf eingestiegen wäre, dann wäre ich mit Sicherheit auch unglücklich geworden und hätte nicht den Mut gefunden, auszubrechen.

Können Sie Ihren Mut weitergeben?

Ich stehe eigentlich nicht gern im Mittelpunkt. Ich möchte aber die Chance zur Aufklärung nutzen. Ich glaube, dass nicht nur Betroffene gut zuhören. Ich denke an alle Menschen, die in einer Krise stecken und den Mut suchen, aus ihrem Unglück auszubrechen. Die Menschen sind offener geworden, sie interessieren sich abseits der Norm für die Tiefe, die die Welt in sich trägt und es herrschen weniger Tabus. Ich bin ein ganz normaler Mensch mit einer eigenwilligen Sichtweise, die mir meine Vergangenheit geschenkt hat und für die ich sehr dankbar bin. Wenn ich endlich im richtigen Körper stecke, wird man diesen Mann nicht nur in meinen Augen, sondern auch in meiner Nacktheit sehen.