Arbeitslose sehen sich schikaniert

In Göttingen protestiert ein Bündnis von Arbeitslosen gegen das Jobcenter der Stadt: Anträge würden langsam bearbeitet und Antragsteller beleidigt. Ein früherer Fallmanager kritisiert, die einzelnen Behördenmitarbeiter hätten zu viel Macht

AUS GÖTTINGEN BENJAMIN LAUFER

Göttingens Erwerbslose haben genug. „Schikanen, willkürliche Praktiken und Drangsalierungen“ wirft das örtliche „Bündnis gegen Ämterschikane“ dem Jobcenter der Stadt Göttingen vor.

„Es gibt hier zwei Formen der Diskriminierung. Die eine ist die verzögerte Antragsbearbeitung, das andere sind Beleidigungen, die viele Leute erfahren müssen“, erklärt das Göttinger Bündnis. Es hatte am Donnerstag deswegen sogar einen „Aktionstag gegen Ämterwillkür“ organisiert: Auf dem Flur des Jobcenters wurde ein Frühstücksbuffet aufgebaut, dort konnten sich Arbeitslose beschweren. Die Stadtverwaltung duldete die Aktion.

Dass einige SachbearbeiterInnen bei der Stadt Göttingen Leistungen bewusst falsch ausgezahlt haben, bestätigt Patrick Humke-Focks, der bis 2006 im Göttinger Jobcenter als Fallmanager gearbeitet hat. „Es gab solche Mitarbeiter, aber die haben den falschen Beruf gewählt“, sagt er. Heute ist Humke-Focks Landesgeschäftsführer der niedersächsischen Linken. Als Fallmanager hatte er freie Entscheidungsgewalt über die Menschen, die er für das Jobcenter betreut hat. Darin sieht er eine große Gefahr: „Man kann sich schnell als Gott aufspielen, weil einem keiner reinreden kann. Daraus wird leicht Überheblichkeit und Arroganz, die sich zum Nachteil der Betroffenen auswirkt.“

Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam hat sogar schwarze Listen über Mitarbeiter des Jobcenters angelegt. In diesen Listen sammelt der auf Sozialrecht spezialisierte Jurist Informationen über SachbearbeiterInnen, deren Verhalten er für schikanös und rechtswidrig hält. Adam vertritt zahlreiche Erwerbslose, die sich gegen das Vorgehen des örtlichen Jobcenters wehren. In zahlreichen Fällen hat er vor Gericht Recht bekommen. Der Rechtsanwalt sagt, dass „einige Sachbearbeiter bewusst alle Möglichkeiten nutzen, um den Hilfebedürftigen den Leistungsbezug so schwer wie möglich zu machen“.

Außerdem berichtet Adam von Fällen, in denen Betroffene mit heftigem Druck in rechtswidrige 1-Euro-Job-Verhältnisse gezwungen worden seien. Einer Mandantin sei der Umzug aus einem heruntergekommenen Wohnghetto in eine günstigere Wohnung verweigert worden. Ihr wurde laut Angaben ihres Anwalts gesagt, die Hartz-IV-EmpfängerInnen gehörten schließlich dorthin.

In anderen Städten hat er ähnliche Erfahrungen gemacht: Eine Sozialagentur weigerte sich sogar, einen Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim im Eilverfahren umzusetzen. Der Anwalt musste mit dem Gerichtsvollzieher drohen, damit die Behörde die Leistungen auszahlte.

Adam kritisiert die Angestellten des Göttinger Jobcenters: „Es entsteht der Eindruck, dass einige Sachbearbeiter Hilfebedürftige per se als Sozialschmarotzer betrachten und sie entsprechend behandeln.“ Zudem sei das Sozialgesetzbuch II sehr interpretationsoffen gehalten. „Das führt oft dazu, dass die grundsätzlich restriktivste Auslegung, wie Leistungen ausgezahlt werden müssen, angewendet wird.“

Der Sprecher der Stadt Göttingen, Detlef Johannson, sah sich zu keiner Stellungnahme im Stande. „Es sind bei uns im Rahmen dieses Aktionstages noch keine konkreten Beschwerden eingegangen“, sagte er auf Anfrage. Gäbe es welche, ginge man diesen selbstverständlich nach.