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Neonazis im Pfadfinderpelz

Der rechtsextreme Verein Heimattreue Deutsche Jugend erzieht in Ferienlagern Kinder zu Kadern. Experten hoffen auf ein rasches Verbot

Versteckt hinter Feldern und Wäldern schlagen Neonazis jeden Sommer für ihren Nachwuchs die Zelte auf. Auf dem Programm des rechtsextremen Vereins Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) stehen Märsche, Appelle und Mutproben, wie Fotos und Publikationen dokumentieren. Sogar von Scheinhinrichtungen war in der Vergangenheit die Rede. Mädchen in langen Röcken und Jungen in Zunfthosen werden in den Ferienlagern militärisch gedrillt.

Ziel ist die ideologische Schulung und körperliche Ertüchtigung der Kinder. Wo die Camps stattfinden, ist streng geheim. Doch viele Experten sind sicher, dass die HDJ auch in Berlin und Brandenburg aktiv ist.

Einige führende Aktivisten lebten nördlich von Berlin, sagt der Politikwissenschaftler Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam. Die „Einheit Preußen“ sei ein aktiver Verband, der auch bundesweit eine Rolle spiele. Gemeinsam mit anderen rechtsextremen Gruppen richte die HDJ den jährlich stattfindenden „Märkischen Kulturtag“ aus, bei dem vor zwei Jahren in Blankenfelde eine Journalistin von Neonazis angegriffen wurde. Zuletzt erregte die Einheit Aufmerksamkeit, als ihre Anhänger laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr in Uniform durch Oranienburg marschierten.

Doch viel sei in der Öffentlichkeit über die Aktivitäten nicht bekannt, betont Botsch. „Es herrscht eine extreme Abschottung.“ Die Mitglieder wollten unbeobachtet bleiben – zumal sie bereits ihre Lager abbrechen mussten, als Pächter von der wahren Gesinnung der scheinbar harmlosen Pfadfinder erfuhren. Bei den Camps seien auch schon Waffen entdeckt worden, sagt Botsch. Er gehe davon aus, dass der HDJ bundesweit rund 400 Jugendliche angehörten.

Nach Einschätzung von Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv (apabiz) hat die „Einheit Preußen“ mindestens 50 Mitglieder. In Berlin und Brandenburg fänden regelmäßig Aktionen statt.

Die HDJ ist nach eigenen Angaben eine „aktive, volks- und heimattreue Jugendbewegung für alle deutschen Mädel und Jungen im Alter von 7 bis 29 Jahren“, wie es auf ihrer Homepage heißt. Doch laut Jentsch steht dahinter das Prinzip des Lebensbunds: „Sie arbeiten mit Menschen vom Still- bis zum Rentenalter.“ Bei den Lagern hätten Frauen ihre Babys dabei, für alle gebe es in der braunen Parallelwelt ein Betätigungsfeld. Ziel der HDJ sei es, den Nachwuchs im nationalsozialistischen Sinn zu erziehen. „Das ist die Kaderschmiede der Neonazis“, sagt der Apabiz-Sprecher.

Der Chef des Mobilen Beratungsteams in Brandenburg, Dirk Wilking, hebt den elitären Charakter des Vereins hervor: „Da soll nicht jeder rein.“ Seit den 50er-Jahren gebe es eine relative Kontinuität – sowohl personell als auch ideologisch. Nach Ansicht der Experten steht die HDJ in der Tradition der 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ), die als eine der größten und militantesten Gruppen in der rechtsextremen Szene galt. Das Bundesinnenministerium verwies damals auf Parallelen zur NSDAP und Hitlerjugend. Es wurde ausdrücklich verboten, Ersatzorganisationen für die Wiking-Jugend zu bilden.

In den Augen von Wilking ähnelt die HDJ einer Sekte. Es sei eine hermetische Gruppe. „Für Jugendliche ist es total schwer, da rauszukommen.“ Wer während der Pubertät nicht dagegen rebelliere, sei für die demokratische Gesellschaft verloren.

Die Einschätzungen der Experten gehen darüber auseinander, ob die HDJ in dem geplanten Schulungszentrum der NPD in Biesenthal einen Unterschlupf für ihre Aktivitäten finden könnte. Während Jentsch und Botsch von der engen Kooperation überzeugt sind, sagt Wilking: „Das wird sich die NPD nicht trauen.“ Die Partei wisse, dass der Verein kurz vor einem Verbot stehe und wolle sicher keine Razzia in ihrem Gebäude riskieren.

KATHRIN HEDTKE, DDP

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