Der menschliche Makel

Perfektion kann jeder: In der Nähe des Scheiterns liegt der Reiz von Improvisationsshows wie „3 für 49 – Knack den Jackpot“ in der Kulturbrauerei

Geld ist der beste Köder, um nach den Menschen zu fischen. Es könnte ein Leichtes sein, auch ein gesamtes Publikum bei der Stange zu halten, stellt man ihm einen großen Gewinn in Aussicht. Genau damit lockt das Improvisationstheater Paternoster der Kulturbrauerei in sein Stück „3 für 49 – Knack den Jackpot“. Aber es wäre zu leicht, zu behaupten, nur das Geld, das gewonnen werden kann, fessele die Aufmerksamkeit des Publikums.

Es ist die Improvisation und ihre Glaubwürdigkeit. Die Improvisation wird im Theater ja genau dort, wo sie behauptet wird, auch infrage gestellt. Denn auch der scheinbar noch so zufällige Ausrutscher ist einstudiert, das Unbeabsichtigte gut vorbereitet. Erst die Einbeziehung des Publikums beweist dann vielleicht doch die Echtheit der Improvisation wieder.

Denn die Zuschauer kann man nicht ganz zurechttrimmen. Wohl aber ein wenig erziehen. Der Moderator gab im Paternoster die Regieanweisungen und konnte per Fingerschnipsen den Applaus an den gewünschten Stellen einheimsen und genauso ersticken. Aber der Abend entwickelte dieser Publikumsdressur zum Trotz durchaus eine gänzlich eigene Dynamik.

Die Schauspieler waren nicht ungeschickt, die Stichworte, die ihnen die Zuschauer zur Verfügung stellten, zu Geschichten auszubauen. Ob als Operndame oder Troubadour, sie konnten die Vorgaben des Publikums in Liedertexte einbauen, manchmal gerade noch so. Die Zuschauer sollten von einem schönen Erlebnis an jenem Tag berichten und erzählten von Eisessen und Museumsbesuch. Die Eisdiele entwickelte sich dann in der Improvisation schnell zu einem Horrorszenario mit einem mafiösen Glöckner oder zum Set für einen Actionporno. Statt der gewünschten Cookies-Eiscreme in der Waffel hörte man auf der Bühne „Cookies an die Waffel!“. Die andere Geschichte spielte im Stasi-Museum und brachte den Refain „Nicht anfassen!“ hervor.

Man will aber anfassen. Will als Zuschauer am Plot drehen, mit Einrufen das Geschehen beeinflussen oder auf Zetteln mit kleinen Sprüchen das nächste Stück mitschreiben. Man will den Schauspielern das gut Vorbereitete verderben, will sie professionell mit ihrem möglichen Scheitern ringen sehen. Man will sehen, wie sie für einen kurzen Moment nicht weiterwissen.

Man will, dass die Bühnenspieler einem das Feld räumen. Und für kurze Zeit tut es auch der Pianospieler an jenem Abend. Die Zuschauerin, die auf die Bühne darf, erhält die Rolle der Henkerin am Klavier. Sie entscheidet, ob die Schauspieler ihren Kuss mit ihrem Ehemann auch richtig wiedergeben. Wenn ihre Finger die tiefen Töne berühren, bedeutet es das Aus. Man will als Zuschauer den menschlichen Makel beobachten, will Zeuge des Unvollkommenen werden. Man verurteilt den kleinen Patzer gleichermaßen, wie man ihn verzeiht. Mit einem Lachen.

Der Moderator an jenem Abend sorgt für Ordnungsmäßigkeit. Er zieht den Schauspielern Punkte ab für das Nichteinhalten von theatralischen Vorgaben. Wenn sie zum Beispiel nicht am Ende eines Stücks für Aufklärung sorgen.

Die letzte Frage am Abend war für einen Zuschauer dann die große Chance. Hätte er nur eine Frage zum gesamten Spielablauf richtig beantwortet, wäre er Gewinner des Jackpots gewesen. Vielleicht fehlte ihm an jenem Abend jene Eigenschaft, die Dostojewski bei ernsthaften Geldsammlern ausfindig machte: Stumpfheit des Geistes. Der Jackpot ist auf knapp 300 Euro angestiegen. Jetzt kann das Publikum am kommenden Mittwoch erneut sein Glück probieren. MARYAM SCHUMACHER

„3 für 49 – Knack den Jackpot“, jeden Mittwoch um 20 Uhr, Kulturbrauerei