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„Die Mitte schließt hinter sich ab“

Neue Studie zum lebenslangen Lernen: Der Soziologe Harry Friebel hat 130 Hamburger, die 1979 die Schule verließen, 30 Jahre lang begleitet. Fazit: nur die Gebildeten bilden sich weiter. Väter büffeln, Mütter legen Ambitionen auf Eis

HARRY FRIEBEL, 64,veröffentlicht „Die Kinder der Bildungsexpansion und das Lebenslange Lernen“ (Ziel-Verlag, 2008). FOTO: PRIVAT

INTERVIEW: KAIJA KUTTER

Herr Friebel, Sie haben mit dem Buch „Kinder der Bildungsexpansion“ eine Längsschnittstudie zum lebenslangen Lernen vorgelegt. Was heißt das?

Harry Friebel: Eine Längsschnittstudie ist eine Umfrage, bei der man die selben Personen immer wieder neu befragt. Wir haben seit 1980 ein Sample von 130 Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten alle anderthalb Jahre interviewt.

Was wollten Sie wissen?

Damals gab es die Bildungsexpansion der 70er Jahre. Wir wollten wissen, was aus den Kindern der Bildungsexpansion wird, wie sie im Beruf Fuß fassen. Später haben wir die Studie um das lebenslange Lernen erweitert.

Und? Was ist Ihr Fazit?

Dass die Bildungsungleichheit genau weiter besteht wie vor der Bildungsexpansion, nur auf einem etwas höheren Niveau. Das funktioniert wie bei einem Fahrstuhl. Die unteren Schichten sind eingestiegen und in der zweiten Etage ausgestiegen. Die mittleren sind von der zweiten in die dritte Etage aufgestiegen. Spannend ist, dass wir drei Generationen betrachten. Die Eltern der Befragten, die Befragten selber und deren Kinder. Da sehen wir, dass die Elterngeneration eine Abiturquote von zehn Prozent hatte, das Sample hatte eine Quote von 25 Prozent. Und für ihre Kinder wünschen Dreiviertel das Abitur.

Das ist doch legitim.

Absolut legitim. Ich finde es toll. In Schweden und Finnland machen längst 60, 70 Prozent Abitur. Das Problem ist: Man lässt sie nicht. Die Mittelschicht schließt nach unten hin ab.

Wie macht die das?

Zum einem durch unbewusste Formen. Die Eltern, die selber Bildung erfahren haben, fördern ihre Kinder viel stärker mit Büchern und anderen kulturellen Aktivitäten. Und dann folgt die Selektion nach der vierten Klasse, wo nachgewiesen ist, dass ein Kind aus der unteren Schicht mehr Leistung erbringen muss, um aufs Gymnasium zu kommen. Für die Mittelschicht ist dieser Moment eine Statusprobe. Für die ist klar: Mein Kind kommt aufs Gymnasium. Die höheren Schichten haben nicht diese Schließungsmotivation. Es ist die Mitte, die dies hat.

Wie kam der große Sprung auf 25 Prozent zustande?

Das war die Folge einer großen politischen Anstrengung. Nach dem Sputnik-Schock der 60er waren sich die großen Parteien einig, zu sagen: Bildung ist Bürgerchance. Der Bildungsetat wurde damals verfünffacht. Erst Anfang der 80er hat die CDU die Expansion gestoppt.

Was haben Sie nun über die Weiterbildung erfahren?

Generell kann man sagen, wer hohe Schulbildung erfahren hat, nutzt auch die Weiterbildung. Durch die Expansion der 70er ist eine größere Nutzergruppe für Weiterbildung herangewachsen. Dadurch ist der große Markt für Weiterbildung entstanden.

Sie schreiben von Risiken der Weiterbildung. Gibt’s die?

Es ist wichtig die Bildung und Weiterbildung zum biografisch richtigen Zeitpunkt zu machen. Wer sein Abitur nicht mit 20, sondern mit 30 macht, hat erhebliche Probleme, beruflichen Nutzen daraus zu ziehen.

Was passiert denen, die keine Lust auf Weiterbildung haben?

Das sind Exoten. Wenn sie einen festen Arbeitsplatz haben, bleiben sie darauf sitzen. In allen Bewerbungsgesprächen wird erwartet, dass man an Weiterbildung teilgenommen hat.

Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Ganz erheblich. Eigentlich ist Bildung ziemlich weiblich. Heute stellen Frauen 54 Prozent der Abiturienten. Doch wenn sie in den Ausbildungs- und Arbeitsplatzmarkt eintreten, sehen sie, dass das ein Männermarkt ist und werden frustriert. Ein Beispiel der Studie: Wir hatten die beste Abiturientin des Jahres 1979 dabei. Die ist bis heute Krankenschwester geblieben. Und wir hatten einen vom Notenschnitt her miserablem Abiturienten. Der ist Oberarzt.

Liegt es an der Kinderphase?

Ja. Frauen, die Mütter werden, verabschieden sich aus der Weiterbildung. Die sagen sich, ich muss es aufs Eis legen. Männer, die Väter werden, nehmen in einem Maße an Weiterbildung teil, das verblüffend ist.

Ist ihre Studie jetzt beendet?

Nein. Wir machen weiter. Die Kinder der befragten sind im Teenageralter. Uns interessieren jetzt die Übergänge dieser Kinder ins Berufsleben.

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