: Ideen, die reisen
Erwarten Sie mal nicht gleich eine Antwort: Die Künstlerin Renée Green verlagert im Frankfurter Portikus die Globalisierungsdebatte ins Imaginäre
von HORTENSE PISANO
„Meine Vorstellung von einem Zuhause ist variabel“, erzählt Renée Green: „Sie ist nicht notwendigerweise an einen Ort gebunden.“ Als Filmemacherin, Autorin und Professorin fühlt sich die amerikanische Konzeptkünstlerin in mehreren Systemen und Städten zugleich beheimatet. Noch bis vor kurzem pendelte sie zwischen Wien und New York – zwischen zwei Metropolen, die in ihrer Mentalität gegensätzlicher nicht sein könnten. In fast all ihren Arbeiten lässt Green unterschiedliche kulturelle Identitäten aufeinander prallen, legt sie politische Konflikte offen. Und fast immer nimmt sie Bezug auf die Geschichte des jeweiligen Ausstellungsortes. Irritation bringt die afroamerikanische Künstlerin in diese Ortsspezifik, indem sie sie mit persönliche Geschichten, biografischen Daten und der Frage nach der eigenen Herkunft verwebt.
In ihrer Videoarbeit „Partially Buried Continued“ stellte sie beispielsweise Fotos, die Greens Vater während seines Kriegseinsatz in Korea zeigen, neben Aufnahmen, die sie selbst 1997 in Kwangju und Seoul machte. Anschließend wurde der Film, der sich mit Amerikas jüngster Vergangenheit befasst, in Südkorea gezeigt. Auch in der Jahre zuvor entstandenen Installation „Partially Buried“ begab sich Green auf Spurensuche nach der eigenen Geschichte. In ihrer Installation aus Sound, Fotografie und Videomaterial verwob die Künstlerin zwei Ereignisse, die sich in ihrer Geburtsstadt Ohio abspielten: Der Titel ihrer Arbeit verweist auf eine Aktion, die der Land-Art-Künstler Robert Smithson 1970 durchführte. Zusammen mit Studenten der Kent Universität schüttet er auf dem Uni-Camp ein Holzhaus mit einem Sandberg zu, so dass dieses daraufhin einstürzte. Im gleichen Jahr wurden an der Universität bei einer Protestkundgebung gegen die Invasion amerikanischer Streitkräfte in Kambodscha vier Studenten erschossen. 25 Jahre, so recherchierte Green, wurde der Vorfall nicht öffentlich diskutiert – wurde Geschichte vergessen und begraben.
Inwieweit lässt sich die Vergangenheit überhaupt rekonstruieren? Obwohl Green für „Partially Buried“ ihre Mutter interviewte, die an der Kent-Universität studierte, stellt sich die Frage, was wahr ist und was Fiktion. Und wie verhält es sich mit jenen imaginären Orten, die eher das Produkt eines kreativen Autors sind: Jene „Nicht-Orte“, die als Projektionsfläche dienen und per se die Realität mit der Fantasie vermischen? Solch einen literarischen Ort hat Green in ihrer aktuellen Ausstellung im Frankfurter Portikus entstehen lassen. Die Wände der ansonsten weißen Zelle sind zurzeit mit einer grauen Farbe überzogen: darauf reihen sich insgesamt 1.400 imaginäre Ortsnamen. Die meisten Namen fand Green in einem Lexikon.
Und so lässt sie ihre Aufzählung mit A wie Abaton beginnen und bei Z wie Zura enden. Ähnlich der Farbskala grafischer Musterbögen geht die Schrift von einem satten Gelb in Orange, dann Magenta, Blau, Grün, Rot über. Eine Gruppe von Sitzbänken ist in den gleichen Farben gestaltet. Gern nimmt man die Einladung zum Platznehmen an, um das Auge in Ruhe über die geografische Landkarte aus imaginären Orten wandern zu lassen. Das traditionelle Ordnungssystem Schrift wird durch ein noch älteres Kommunikationsmittel ergänzt: die mündliche Erzählung. So hört man über Kopfhörer Greens Stimme, die in einem leisen Flüsterton die Namen wiederholt: „Jundapur, Junganyika, Jurassic Park …“ Der akustische und optische Eindruck verdreifacht sich, denn wie bei einem Nachrichtenband laufen die Namen nochmals über einen Bildschirm. Die Sequenzen werden immer wieder unterbrochen von Aufnahmen, die Gärten aus der ganzen Welt zeigen. Die Videobilder hat Green mit einer nahezu lieblichen Klangmusik unterlegt. Sie habe damit ein wenig an die meditative Musik der 70er-Jahre erinnern wollen, erklärt sie.
Renée Green ist es auch in ihrer aktuellen Rauminstallation gelungen, eine Fülle an Informationen miteinander zu vernetzen, ein Referenzsystem aus sich überlagernden Wissens- und Wahrnehmungssträngen aufzubauen. Mit Hinblick auf die sozialkritische Themenstellung ihrer früherer Arbeiten mag man sich ein wenig über ihren Ausflug in die Welt der Imagination wundern. Will man „Phases + Versions“ richtig einordnen, ist es angebracht, bei ihrer für die Documenta11 konzipierten Arbeit anzusetzen. Green ging dort auf die Anfänge der documenta zurück, die ursprünglich aus einer Gartenschau hervorgegangen war. Auf das Gelände des Kassler Ausparks stellte sie acht oktagonale Boxen – in diesen halb geöffneten Pavillons, die den Blick auf die umgebene Landschaft frei ließen, konnte man über Kopfhörer ebenfalls den vorgetragenen „Traumorten“ lauschen und in einer Videostation die Geschichte des Gartens nachvollziehen. „Ein Ruheort inmitten des Inputs“ wollte Green hier kreieren.
Sicher geht es Green neuerdings nicht um eine Flucht ins Fiktionale, vielmehr hat sie ihre Anschauungen auf ein Feld verlagert, dessen Grenzen noch nicht völlig abgesteckt sind. „Kunst“, schreibt Renée Green, „bleibt weiterhin eine machtvolle Idee, die zu radikalem Denken anregt. Ideen sind nicht durch ihren Ursprungsort begrenzt, sie verändern sich beim Reisen.“
Bis 26. Januar, Frankfurt Portikus
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