piwik no script img

Nudel an Stickstoff

Manche Kochbücher sind Trojanische Pferde. Andere wärmen die verlorene Tradition auf – und einige machen sogar glücklich

VON TILL EHRLICH

Das Interesse am Kochen hält trotz medialer Dauerpräsenz an, und auch das gedruckte alte Medium Kochbuch wird geschätzt. Das ebenso kulturpessimistische wie elitistische Lamento, Kochbücher seien Pornos für das immer kochunlustigere, kulinarisch deprivierte Volk, ist wohl kaum haltbar. Allerdings ist das Thema Kochen zunehmend im Zusammenhang mit hedonistischem Lifestyle oder Wochenendkultur gefragt, während sich immer mehr Menschen von der Alltagskocherei befreien. Meist bedeutet das Schnellimbiss, Tiefkühlkost, Fertiggerichte oder Fast Food.

Der Brite Gordon Ramsay zeigt, dass ein dritter Weg möglich ist. „Schnelle Sterneküche“ ist ein praktisches Kochbuch für das einfache Kochen unter der Woche gegen die Uhr. Ramsey hat pädagogisches Sendungsbewusstsein, er will uns vor kulinarischer Verödung retten. Der Mann ist auf der Insel ein populärer Sternekoch mit TV-Präsenz, der gute Ideen hat für Pasta, Suppen, Lunchpakete oder raffinierte Salate für den Imbiss aus der Tupperware im Büro. Auch dem Thema Resteverwertung räumt er Platz ein. Ramsey zeigt, wie man schmackhafte und gesunde Speisen ohne komplizierte Techniken in kurzer Zeit zubereiten kann – viele seiner Speisen sind in zehn bis zwanzig Minuten zu schaffen, fünfundvierzig Minuten sind bei ihm die obere Grenze. Dekorieren spielt kaum eine Rolle: „Wie eindrucksvoll ein Gericht auch aussehen mag, im Gedächtnis bleibt sein Geschmack. Ihre Familie und Freunde werden ein besonderes Essen zu schätzen wissen – auch wenn Sie es im Kochtopf servieren.“ Dagegen ist nichts zu sagen, doch Schnellkoch Ramsay verschweigt, dass flinkes Kochen nur funktioniert, wenn man Routine hat, die am langsamen, „richtigen“ Kochen geschult ist.

Fetthaltige Kost wird zunehmend als ungesunde Belastung empfunden. Irgendwann hat man das Gesunde und Leichte satt, sehnt sich nach gesottenem Fleisch und Deftigkeit. „Schwein und Sohn“ ist eine Liebeserklärung an das Schwein und die Lust auf fleischige Hausmannskost jenseits der Massentierhaltung. Stéphane Reynaud porträtiert ein kleines Dorf auf dem Hochplateau der Ardéche. Dort war sein Großvater Pépé vierzig Jahre der Dorfmetzger. Reynaud lässt die Welt der Hausschlachterei, mit der er aufgewachsen ist, aufleben. Da gibt es Köstliches wie in Bier geschmorten Schweinenacken, gefüllte Schweinsohren oder Schulterbraten in Milch. Ein liebevoll gemachtes Buch, das – nicht ohne romantisierende Verklärung – die bäuerliche Tradition des Wurstens und Kochens festhält, bevor sie verschwinden wird, um dann in den dandyhaften Milieus von Slow Food und Manufactum als schöne Leiche wieder aufgewärmt zu werden.

Während in der ambitionierten Gastronomie die sogenannte euroasiatische Fusionsküche weiterhin en vogue ist, ist die Nachfrage nach solchen Kochbüchern eher gering. Vielmehr sind Bücher über die echten Küchen Asiens gefragt. In „Der Geschmack Vietnams“ werden Geschmack und Atmosphäre eines Landes präsent, dessen rasante kulturelle und soziale Transformation sich auch im Kulinarischen widerspiegelt. Bobby Chinn ist kein Vietnamese, sondern ein Amerikaner mit chinesischen Wurzeln, der seit gut zehn Jahren in Hanoi ein Restaurant betreibt. In diesem Buch unternimmt er einen Streifzug durch die Märkte und Straßen Vietnams. Es gibt keine cleanen Food-Fotos, aber viele flüchtige Momentaufnahmen in rötlichen Tönen, deren Bemühtheit um Authentizität selbst wieder zum Klischee gerinnt. Auf den Fotos dampfen Nudeln, bröckelt Reis, im Hintergrund ist ein Plakat der Kommunistischen Partei zu sehen. Dann ein Denkmal mit den Trümmern eines abgeschossenen US-Bombers, dann wieder die Mopeds und Fahrräder der Straßenköche und Gemüsehändler. Trotzdem macht das Buch neugierig auf die wirkliche Küche Vietnams, auf den Duft von Tamarinde, Zitronengras und gerösteten Erdnüssen, das Feuer kleiner Chilis, die Knusprigkeit gebackener Bananenblüten und die Süße saftiger Litschis.

Immer zielten Kochbücher und Rezepte darauf ab, das Nachkochen von Speisen ohne große Begabung und Sensibilität zu ermöglichen. In der sogenannten gehobenen Küche wurden die besten Zutaten benutzt, in der Alltagsküche die preiswerten – doch großzügig. Mit der Molekularküche eröffnen sich dem Kochen nun die technischen Möglichkeiten der physikalischen Chemie. Molekulare Kochbücher liegen im Trend. Sie machen deutlich, dass das Kochen im 21. Jahrhundert an einer Schwelle steht. Molekularküche, das bedeutet den Einsatz von Hightech-Methoden in der Küche, wie Vakuumgaren, die Behandlung von Zutaten mit flüssigem Stickstoff bei 200 Minusgraden oder das Frittieren mit Zucker (Trehalose). Zudem werden verblüffende Effekte erzielt mit umstrittenen Zusatzstoffen wie Natriumcitrat, Lecithinpulver oder dem Verdickungsmittel „Xanthan“.

Nun sollen wir durch molekulare Kochbücher die Scheu vor fragwürdigen Kochtechnologien und Zusatzstoffen verlieren. Überhaupt soll der ganze Kochvorgang aus naturwissenschaftlicher Perspektive verstanden und praktiziert werden. Das molekulare Heilsversprechen lautet „Optimierung“ – wir sollen mit Hilfe der molekularen Sichtweise besser kochen lernen. Durch die Moderne sind in der Küche Reproduktionstechniken angekommen, die die Perfektion der Technik mit aller Macht einsetzen. In all den sensationellen Gar- und Behandlungsmethoden steckt eine ungeheuere Potenz und Dynamik. Dadurch kommen die inneren Valenzen der Technik mehr zum Vorschein als das Genuine einer Speise oder eines Garprozesses. So lässt sich eine neue Vollkommenheit beim Kochen erreichen. Es geht daher eine ungeheuere Faszination von der Möglichkeit aus, immer das Gleiche unter höchsten Standards reproduzieren zu können, wodurch die Unberechenbarkeit des Kochens berechenbarer wird. Viele werden wohl der Faszination der technischen Reproduzierbarkeit von Speisen erliegen. Doch der Mangel an Komplexität, der diesen Speisen eigen ist, wird auch Ekel und Gleichgültigkeit gegenüber der Sache hervorrufen.

Das vielleicht aufschlussreichste Kochbuch zum Thema ist die „Die Molekularküche“ von Thomas Vilgis, Professor für theoretische Physik am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. Physiker Vilgis gibt mit seiner „Molekularküche“ eine mit biochemischen Grundlagen unterfütterte Einführung ins Thema. Dabei wechseln sich ganzseitige Food-Fotos mit Rezepten und verständlich aufbereiteten physikalischen und chemischen Exkursen ab. Da wird etwa Alginatpulver in Campari aufgelöst und verwandelt sich im Calciumchlorid-Bad in schwimmende, „mundgerechte“ Perlen. Das Resultat nennt Vilgis „Campari-Kaviar“. Seine Speisen beruhen auf rein wirkungsästhetisch gesteigerten Ideen, wie sie eher Techniker und Ingenieure haben denn Künstler und Köche. Am Ende des Buchs steht ein Firmenverzeichnis für die Hightech-Küchengeräte der Zukunft.

Die Molekularküche ist gewiss keine Schaumschlägerei, sie ist ein Trojanisches Pferd der Foodindustrie. Sie steigert die Perfektion der Speisen. Das wird zu Übersättigungen führen, die der Food-Industrie die Schaffung immer neuer Reize auferlegen wird. Molekular-Food wird das Essen billiger machen und den Konsum anheizen. Das führt aber auch zu neuen Süchten und Krankheiten, weil wir dann beispielsweise verstärkt mit Süße ummantelte Proteine zu uns nehmen. Das wird bei manchen Übelkeit und Durchfall hervorrufen, aber auch zu mehr Fettleibigkeit führen und Allergien auslösen. Deshalb werden kleine Portionen empfohlen – der Konsument soll sich mäßigen.

Kann ein Buch über das Kochen glücklich machen? „Hitze“ ist der Erfahrungsbericht des New Yorker Journalisten Bill Buford. Hier geht es um die Passion zur italienischen Küche, wie man ihr verfallen und zugleich darin aufgehen kann. Buford, der zunächst nur für eine Reportage über den Koch Mario Batali in dessen Küche mitläuft, kündigt seinen Job als Literaturredakteur beim New Yorker und verdingt sich bei Mario als „Küchensklave“. Mal sarkastisch, mal ehrfürchtig beschreibt er die Szenen in der Küche des Sternekochs und seine exzentrischen Auftritte in Kochshows, in denen Batali Sachen sagt wie: „In der italienischen Küche sollte Ihr Gericht aussehen, als wäre es von den Schwingen eines Dichters gefallen. Und nicht, als ob es von neun französischen Typen gemacht worden wäre, die alle geschlagen wurden, als sie noch Kinder waren.“ Bufords Sehnsucht, dem Handwerk und der Kunst der traditionellen italienischen Küche auf die Spur zu kommen – er nennt sie die „florentinisch-toskanische-Spätrenaissance-Tradition“ – führt ihn zu einer begnadeten Pasta-Herstellerin in der Toskana und zu einem traditionellen Metzger, der ihn in die fleischlichen Geheimnisse einweiht. Bei Buford erfährt man mehr über das Kochen als in unzähligen Kochbüchern. Es ist eine Reflexion über die Geschichte der italienischen Küche. „Ich will Katharina de’ Medici folgen“, resümiert Buford am Ende. „Wenn ich die italienische Küche wirklich verstehen will, muss ich die Alpen überqueren und lernen, was als nächstes passiert ist. Ich muss nach Frankreich.“

TILL EHRLICH, Jahrgang 1964, serviert monatlich die taz-Sättigungsbeilage LITERATUR: Bill Buford: „Hitze. Abenteuer eines Amateurs als Küchensklave, Sous-Chef, Pastamacher und Metzgerlehrling“. Hanser Belletristik, München 2008, 384 Seiten, 24,90 Euro Bobby Chinn: „Der Geschmack Vietnams“. Christian Verlag, München 2008, 224 Seiten, 29,95 Euro Gordon Ramsay: „Schnelle Sterneküche“. Dorling Kinderslay Verlag, München 2008, 250 Seiten, 24,95 Euro Stéphane Reynaud: „Schwein & Sohn“. Christian Verlag, München 2006, 367 Seiten, 24,95 Euro Thomas Vilgis: „Die Molekularküche. Das Kochbuch“. Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2007, 216 Seiten, 49,90 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen