„Voll vaterländischen Schwunges“

Vor 70 Jahren: Die Machtergreifung der Nazis im Spiegel der Hamburger Presse – Letzter Teil: Am 5. März 1933 übernehmen die Nationalsozialisten auch in Hamburg die Macht. Und vom Rathaus flattert „das rote Tuch der deutschen Revolution“

„Hauptsache ist, daß sie wieder abtreten, wenn ihnen das Volk die Mehrheit nicht gibt.“

von HEINZ-GÜNTER HOLLEIN

Die Polizei auf dem Rathausmarkt steht salutierend stramm, als sich um 22.05 Uhr die Hakenkreuzfahne – „das rote Tuch der deutschen Revolution“ – vom Balkon des Rathauses entrollt. Am 5. März 1933, fünf Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, ist auch in Hamburg die „Machtergreifung“ eine Tatsache. „Nicht beirren lassen!“ hatte die SPD die Hamburger im Wahlkampf aufgerufen. „Hauptsache ist, daß sie wieder abtreten, wenn ihnen das Volk die Mehrheit nicht gibt.“ An diesem Sonntag aber hat die Koalition aus NSDAP und Deutsch-Nationalen bei den Reichtagswahlen mit 51,9 Prozent die absolute Mehrheit gewonnen.

Am 30. Januar hat Hitler mit dem Aufrollen der zivilen Macht begonnen, bis nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar die „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ faktisch den Ausnahmezustand herstellt. Mit dem Mittel der ministeriellen Anordnung, ohne formelle gesetzliche Grundlage, erfolgt der Zugriff auf die Verwaltungsebene in Ländern und Kommunen.

Gleichzeitig werden Zeitungen der KPD verboten oder ihre Ausgaben beschlagnahmt, kommunistische und sozialdemokra-tische Funktionäre verhaftet. Der Gedanke an einen Generalstreik wird zwar in der KPD angedacht, Gewerkschaften und SPD sind jedoch dafür, „die letzte Kugel noch im Lauf zu lassen“. Stattdessen beharken sich die beiden großen Linksparteien weiter als „Faschistenknechte“ und „Zersetzer im Auftrag Moskaus“. Vor allem die SPD, der jegliche Form des publizistischen Wahlkampfs untersagt wird, geht wie zu Zeiten der Bismarckschen Sozialistengesetze davon aus, dass „unsere Partei aus Verfolgungen stets neue Kraft geschöpft hat“.

Einen „erhebenden Tag ohne Trübung, voll vaterländischen Schwunges“, so eine Zuhörerin, bereitet der neue Kanzler am 3. März 15.000 Hamburgern in Sagebiels Sälen in Blankenese und weiteren Zehntausenden vor den öffentlich aufgestellten Lautsprechern. Es ist Hitlers letzter Wahlkampfauftritt und laut Joseph Goebbels eine „Wunderleistung oratorischer Rhetorik“.

Als am selben Tag aus Berlin die Anordnung ergeht, das sozialdemokratische Hamburger Echo zu verbieten, treten die SPD-Senatoren zurück. Aber Hamburgs NS-Gauleiter Karl Kaufmann hat bereits einen Nachfolger für das Amt des Ersten Bürgermeisters gefunden. Carl Vincent Krogmann, aus einer alten Hamburger Kaufmannsfamilie, soll – und wird – den Geist der neuen Zeit den bürgerlichen Hanseaten nahebringen. Um so eher, als Krogmann nicht einmal Parteigenosse ist und dem revolutionären, „sozialistischen“ Flügel der NSDAP als „zu lasch“ gilt. Dafür genießt er als Finanzberater der SS das Wohlwollen Heinrich Himmlers.

Noch am Nachmittag des Wahltags geht beim Hamburger Senat die Anordnung des Reichsinnenministers Wilhelm Frick (NSDAP) ein, die Polizeigewalt dem Mitglied der Bürgerschaft und Polizeioberleutnant a. D., SA-Standartenführer Alfred Richter, zu übertragen. „Der Senat“, heißt es in einer Verlautbarung lapidar, „hat sich unter Einlegung aller Rechtsverwahrung gefügt.“ Umgehend werden „unzuverlässige“ Spitzenbeamte „beurlaubt“ und die Schlüsselpositionen (Polizeipräsident, Chef der Ordnungspolizei, Polizeischuldirektor) neu besetzt. Und als es am nächsten Abend zu „schweren Feuergefechten“ in Altona kommt, können – anders als in den Wochen zuvor – auf einmal „zahlreiche Verhaftungen“ vorgenommen werden, allesamt auf Seiten der Linken.

Am 8. März marschiert der neue Senat feierlich ins Rathaus ein. An der Spitze, im Talar, die beiden Senatoren der Deutsch-Nationalen, gefolgt von je einem Senator der Volks- und der Staatspartei, dahinter, in SA-Uniform, die sechs Senatoren der NSDAP sowie zwei „Stahlhelmer“. Auch Krogmann trägt an diesem Tag die Partei-Uniform. Bei der anschließenden Wahl durch die Bürgerschaft sind die Abgeordneten der KPD „dienstlich verhindert“, wie das Hamburger Tageblatt hämisch anmerkt.

Danach vollzieht sich, was Krogmann in seinen Memoiren unter der Überschrift „Verwaltungsreform“ abhandelt. Am 16. Mai wird NS-Gauleiter Kaufmann zum „Reichsstatthalter“ ernannt, dem es vorbehalten ist, Mitglieder des Senats „zu bestätigen“ oder „zu ernennen“. Am 28. Juni wird der Bürgerschaft mitgeteilt, dass ab jetzt „Staatsräte“ den Senat „beraten“ werden, mithin das Parlament überflüssig geworden sei.

Überflüssig geworden war auch Max Brauer, der Bürgermeister der „roten Hochburg“, des schleswig-holsteinischen Altona. Nachdem er sich noch am 27. Februar gerichtlich gegen einen Bestechungsvorwurf im Hamburger Tageblatt wehren zu können glaubte, lässt er sich nun beurlauben und geht. Ins Exil, zuerst nach Österreich, schließlich bis nach China. Der Weg Alfred Walter Cohns, der am 6. Februar in den Hamburger Nachrichten so hoffnungsvoll seine Zulassung zum Anwalt anzeigte, endet – so weit sich ermitteln lässt – an einem Märztag des Jahres 1945 im KZ Neuengamme. Friedrich Ruge, der Kapitänleutnant, der mit seiner Flottille Anfang Februar in Wedel lag, wird 1956 erster Inspekteur der Bundesmarine. Ferdinand Marian, der Ende Januar im Thalia-Theater überzeugte und sich 1940 zur Darstellung des „Jud Süß“ zwingen lassen wird, fährt nach Kriegsende in der Nähe von Hamburg seinen Wagen gegen einen Baum. Dan Goldschmidt, der am 6. Februar 1933 geboren wurde, hat offenbar überlebt. Der Name seiner Mutter Edith hingegen steht im Gedenkbuch der jüdischen Opfer Hamburgs.

Leni Riefenstahl, deren Abenteuer mit Eskimos und Filmkameraden im Januar die Leser der Hamburger Nachrichten unterhielten, weiß bis heute nicht, was man ihr eigentlich vorwirft.