„Bilder neu aufladen“

Auf einen Strang innerhalb der Filmgeschichte verweisen, der als Film mit filmischen Mitteln über Film redet: Ein Gespräch mit Michael Baute über Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Filmvermittlung und was in anderen Ländern passiert

Wenn von Filmen über Film gesprochen wird, denkt man an Fellinis „Achteinhalb“ oder Truffauts „Die Amerikanische Nacht“ – und vergisst darüber leicht, dass es auch eine Tradition von Filmen gibt, die andere Filme analytisch erklären. „Kunst der Vermittlung. Aus den Archiven des filmvermittelnden Films“, ein von Michael Baute, Volker Pantenburg, Stefan Pethke und Stefanie Schlüter initiiertes Projekt, will das ändern und den filmvermittelnden Film mehr ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung rücken. Zwischen Oktober 2008 und Juli 2009 finden in Berlin, Wien, Köln und Bremen entsprechende Veranstaltungen statt. In Berlin geht es am 28. November im Kino Arsenal um das Thema DVD; Gast wird Christiane Habich aus Leipzig sein, die seit 1999 als DVD Research Manager bei dem Verleih Kinowelt arbeitet. Weitere Informationen unter www.kunst-der-vermittlung.de.

INTERVIEW ANDREAS RESCH

taz: Herr Baute, worum geht es in „Kunst der Vermittlung“?

Michael Baute: Unser Anliegen ist es, auf einen Strang innerhalb der Filmgeschichte zu verweisen, der als Film mit filmischen Mitteln über Film redet. Diese Idee haben wir in einzelne Themenkomplexe mit bestimmten Schwerpunkten – Kino, Fernsehen oder DVD – heruntergebrochen. In unserer ersten Veranstaltung hatten wir Harun Farocki zu Gast, der Dank Filmen wie „Der Ausdruck der Hände“ oder „Zur Bauweise des Films bei Griffith“ sehr wichtig ist in seiner filmvermittelnden Funktion.

Was kann filmvermittelnder Film leisten, was ein Buch nicht vermag?

In filmvermittelnden Filmen spielt das rhythmische Moment eine entscheidende Rolle – und stellt gleichzeitig eine große Schwierigkeit dar. Bilder, die schon vorher da waren, werden neu aufgeladen. Dadurch passiert etwas, was sich in Texten wesentlich schwieriger erreichen lässt. Der Found-Footage-Film etwa, in dem altes Filmmaterial wiederverwertet wird, ist eine genuin filmische Art der Filmvermittlung, in der ein Film neu geschnitten, neu organisiert, mit neuen Perspektiven unterlegt wird.

In diesem Fall funktioniert Filmvermittlung ausschließlich über Bilder, ohne erklärende Worte?

Genau, über eine Reorganisation des Materials, über eine andere Rhythmisierung. Der österreichische Filmemacher Martin Arnold hat ganz kurze Szenen – oft aus amerikanischen Studio-Filmen der Dreißiger- bis Fünfzigerjahre – genommen und sie neu montiert. Das wirkt wie ein Stottern des Bildes. Er nennt es „das Unbewusste eines Films“.

Unterscheidet sich Filmvermittlung in Deutschland von der in anderen Ländern?

Ja. In Frankreich gibt es beispielsweise eine viel stärkere Tradition des Schulfernsehens und des Bildungssektors, der als Produzent auftritt. Alain Bergalas Ansatz zur Filmvermittlung ist der letzte Punkt in einer langen Entwicklung, einer Tradition, die in Frankreich sehr früh schon auf eine kritische Intelligenz bei der Produktion von filmvermittelnden Filmen gesetzt hat. Die meisten dieser Filme sind kaum bekannt, eben weil sie für das Schulfernsehen produziert worden sind. Ihre Macher hatten die intellektuelle Kapazität, nicht prätentiös zu sein, ihren Blick nicht zu verstellen durch eine Autoreneitelkeit, auf die zu verzichten nicht immer so einfach ist. Man kennt das ja von sich selbst, dass man denkt: Jetzt würde ich lieber ein wenig unverständlicher werden, das klingt zu banal, was ich jetzt sage.

In welchem Verhältnis stehen Filmvermittlung und Filmkritik zueinander?

Filmvermittlung ist das Bekanntmachen mit Film: mit filmischen Operationen, mit Filmgeschichte, mit filmischen Haltungen zur Wirklichkeit. Filmkritik steht eher in einem Verwertungszusammenhang. Historisch gesehen ist es allerdings so, dass viele interessante filmvermittelnde Filme von Menschen gemacht wurden, die man als Filmkritiker bezeichnen würde. Diese Menschen haben in ihrer filmvermittelnden Arbeit eine Genauigkeit und Anschaulichkeit entwickelt, die auch in ihren Texten zu finden ist. Eine Anschaulichkeit, die vom Schauen, vom Austausch zwischen Schauendem und Gesehenem ausgeht.

Welche Rolle spielt Interpretation in einem solchen Prozess?

Ich bin jemand, der sehr starke Vorbehalte gegenüber jeder Form von Filmvermittlung hat, die ausgehend von dem, was gezeigt wird, sofort auf die Bedeutung des Abgebildeten schließt. Etwas, was Harun Farocki „Inhaltismus“ genannt hat. Ein Strang, der unserer Ansicht nach in der Praxis der Filmvermittlung sehr dominant ist.

Woher rührt dieser Wille zum „Inhaltismus“?

Aus dem Gesehenen heraus etwas abzuleiten, erscheint den meisten zu banal. Deshalb konzentriert man sich lieber sofort auf die Bedeutung. Ein anderer Punkt ist der, dass der ideelle Hintergrund von Filmvermittlung oft ein medienpädagogischer ist. Und Medienpädagogik hat sehr viel mit einer gewissen Abwehrhaltung zu tun: zu zeigen, dass und wie Medien manipulieren und ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln, um sich gegenüber dieser Manipulation zu schützen. Letztendlich ist das eine Idee von Bild, die eher gegen das Bild gerichtet ist. Ich sehe Filme, weil ich mich gerne Bildern hingebe, weil ich Lust habe, mich von Bildern überreden zu lassen, mich von Bildern verzücken zu lassen. Einem Vertreter des medienkritischen Ansatzes ist das gar nicht möglich, weil er tendenziell eher sagt: „Verführung ist böse.“