Gewöhnung darf es nicht geben

Die Polizei darf im Notfall Angreifer erschießen, aber nicht foltern. Das ist internationaler Konsens

BERLIN taz ■ Immer wieder wird in Diskussionen um Polizeifolter auf den zulässigen Schusswaffeneinsatz durch die Polizei verwiesen. Sie darf Verbrechern mit dem Einsatz der Waffe drohen, auf sie schießen, sie verletzen oder gar töten. Warum also soll Folter völlig tabu sein, wenn die Polizei selbst in das Recht auf Leben eingreifen darf?

Zunächst ist die Rechtslage eine völlig andere. Folter ist auf globaler, europäischer und deutscher Ebene umfassend geächtet, und es sind ausdrücklich alle Rechtfertigungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Das Verbot von Folter ist tatsächlich so etwas wie ein zivilisatorischer Grundkonsens. Eine derartige internationale Ächtung für den Schusswaffengebrauch fehlt. So wird etwa die Europäische Menschenrechtskonvention nicht verletzt, wenn sich die Tötung eines Menschen aus einer „unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt, um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen“.

Auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht das „Recht auf Leben“ unter Gesetzesvorbehalt. So sehen die Polizeigesetze von sechs Ländern (Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) den „finalen Rettungsschuss“ ausdrücklich vor, in anderen Bundesländern beruft sich die Polizei auf die Nothilfevorschriften des Strafgesetzbuchs. Ein ausdrückliches Verbot, Menschen zu erschießen, besteht nirgends. Anders bei der Folter.

Der Unterschied ist auch berechtigt. Der Todesschuss soll unmittelbar eine Handlung verhindern, zum Beispiel die Erschießung einer Geisel. Bei der Folter ist der Straftäter dagegen in Gewahrsam der Polizei, die ihn nun so lange misshandelt, bis er die gewünschten Informationen preisgibt. Die Brutalität der Situation ist also ungleich größer – und zwar nicht nur für den Straftäter, sondern auch für die Beamten selbst.

Außerdem ist die Kontrolle des Handelns auf Polizeiwachen ungleich schwieriger, weil hier Polizei und Inhaftierte stets unter sich sind. Das absolute Folterverbot schützt eben nicht nur den konkreten Erpresser, sondern alle Inhaftierten vor sonst kaum im Zaum zu haltender Polizeibrutalität. Polizisten sollen nicht wissen, wie man foltert, sie sollen sich nicht daran gewöhnen, und es soll keinerlei Ausflüchte geben, falls es doch ans Licht kommt.

CHRISTIAN RATH