So scheitert Ihre Bahn- Reform

VON ANNETTE JENSEN

1. Nötigen Sie den jeweiligen Verkehrsminister zu öffentlichen Bekenntnissen!Zu Anfang – bei längerer Amtszeit auch mehrmals – müssen Sie reklamieren, dass der Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden muss. Danach können Sie dann weiterfahren wie bisher.

2. Bevorzugen Sie die Konkurrenten der Bahn systematisch!Dass Fluglinien für ihren Sprit keine Steuern zahlen müssen – ja, das ist leider, leider so, aber EU-mäßig nicht anders zu regeln. Dito Ökosteuer. Die ist nun mal ein Zuschlag auf die Mineralölsteuer. Volle Mehrwertsteuer für Fernbahn-, aber nicht für Flugtickets – das Argument überhören Sie am besten, ebenso wie das Genöhle, dass die Bahn jährlich 62 Millionen Euro für den BGS-Einsatz ans Innenministerium überweist, während die Polizei für Autofahrer kostenlos im Einsatz ist.

3. Behaupten Sie immer wieder, dass die Konkurrenz auf der Schiene das Geschäft belebt!Aber verhindern Sie um Gottes Willen, dass das Realität wird! Schließlich gehört die DB ja nach wie vor dem Staat und soll insofern keinen Auftrag verlieren. Schlagen Sie deshalb den Rat führender Experten in den Wind, das Schienennetz von unabhängiger Seite verwalten zu lassen. Kommt womöglich ein neuer Verkehrsminister wie weiland Kurt Bodewig auf die Idee, der DB das Gleisnetz doch wegnehmen zu wollen, müssen Sie notfalls den Kanzler aktivieren. Bei der nächsten Neubesetzung des Postens wählen Sie dann einen verkehrspolitischen Trottel, der gar nicht erst solche Vorstellungen entwickelt und außerdem seinen Milliardenhaushalt brav so strukturiert, dass endlich wieder viel mehr Geld für Straßen als für Schienen da ist. Manfred Stolpe ist in diesem Sinn eine hervorragende Wahl. Besonders verdienstreich auch, dass er trotz des Maut-Desasters eine erneute Einführung der Lkw-Vignette verhindert hat. So ist der Güterverkehr auf der Straße in Deutschland so günstig wie schon lange nicht mehr!

4. Installieren Sie in der Chef- etage die Konkurrenz!Sehr günstig war insofern die Erstbesetzung des Vorstandspostens mit Heinz Dürr, Miteigentümer eines weltweit agierenden Betriebs für Autolackierautomaten. Dass Dürr vormals im Vorstand von Daimler-Benz saß, kam ebenfalls gut.

Auch der aktuelle Bahnchef Hartmut Mehdorn bringt jahrzehntelange Erfahrungen mit – diesmal von der Luftfahrtindustrie. Kein Wunder, dass er Mitarbeiter um sich scharte, die die Verkehrswelt ebenfalls aus der Perspektive von Vielfliegern wahrnehmen und sich nicht um die Interessen von Pendlern und Provinzlern kümmern, in deren popeligen Käffern es womöglich nicht einmal einen Schalter am Bahnhof gibt. Mit dem ICE ein paar Minuten sparen – das ist entscheidend. Wer dagegen Zeit hat, mit einem Interregio durch die Gegend zu bummeln, kann ruhig auch mehrmals umsteigen.

5. Verhindern Sie, dass im Aufsichtsrat Pufferküsser oder Vertreter von Kundeninteressen sitzen!Die verstehen doch eh nichts von Wirtschaft. Besonders gelungen war dagegen der Coup, dort gleich zu Anfang Hermann Franz einzuschleusen. Der saß damals auch bei Siemens, Thyssen und der Deutschen Bank im Aufsichtsrat, die unbedingt in Deutschland den Transrapid bauen und einen Großteil des Risikos der Bahn überhelfen wollten. Franz ist zwar inzwischen weg, dafür konnte sich die vor allem im Flugchartergeschäft engagierte TUI gleich mit zwei Vertretern einklinken.

6. Spielen Sie Pingpong in puncto Verantwortung zwischen DB und Politik!Behaupten Sie, die Bahn sei inzwischen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien organisiert. Das muss Sie ja nicht davon abhalten, Ihre Lieblingsprojekte weiterhin durchzusetzen – auch wenn Ihre Wünsche etwas teurer sind und sich für das Unternehmen nicht rechnen. Aber seien wir doch mal ehrlich: Ein Tiergartentunnel in Berlin – gebaut mit ganz neuen Bohrtechniken, ein Diesel-ICE mit Neigetechnik oder eine Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover – Würzburg sind nun mal schlagzeilenträchtiger als die Verbesserung des Nahverkehrsnetzes, auch wenn davon im Alltag vielleicht mehr Leute profitieren würden.

Zwar muss man zugeben, dass zum Beispiel 30 Millionen Euro pro Kilometer ICE-Trasse von Köln nach Frankfurt kein Pappenstil sind – das sind immerhin 300 Euro pro Zentimeter. Aber wenn man die vielen Minuten dagegenrechnet, die vor allem Geschäftsleute bei der Reise sparen, dann lohnt sich so was ja doch.

Natürlich können Sie die Kosten für die Trasse nicht bei den ICE-Kunden eintreiben – das einzelne Ticket wäre dann mindestens fünfmal so teuer. Aber dank der Monopolstellung der DB beim Schienennetz können Sie die Kosten ja ganz unauffällig auf die Nahverkehrszüge umlegen.

7. Erziehen Sie Ihre Kunden!Die Leute sollen sich an Ihr System anpassen, nicht umgekehrt. Geben Sie auf keinen Fall klein bei. Setzen Sie zum Beispiel niemals an Sommerwochenenden Züge mit zusätzlichem Platz für Fahrräder auf der Strecke Chorin–Berlin ein. Wenn regelmäßig ein paar Leute auf dem Bahnhof zurückbleiben, hat das einen pädagogischen Wert! Die Leute werden dann hoffentlich künftig am Dienstag oder Mittwoch reisen oder ihr blödes Fahrrad zu Hause lassen.

8. Wenn das immer noch nicht reicht: Beschimpfen Sie Ihre Kunden!Vielleicht verstehen einige Nörgler Ihr geniales, vom Flugverkehr abgekupfertes Preissystem einfach nicht. Dabei ist es doch ganz simpel: Belohnt wird, wer engagiert ist und für jede Reise zweimal am Bahnhof aufläuft. Wer dann immer noch nicht kapiert hat, dem muss man deutlich sagen, dass es an ihm selbst liegt, wenn er sich „als 136. Hering in den Flur quetschen“ will.

Völlig kontraproduktiv ist es dann natürlich, wenn die Politik plötzlich einknickt und das schöne Preissystem kippt. In solch einem Fall sollten Sie auf jeden Fall dafür sorgen, dass Sie nicht gleich mitentsorgt werden. Gute Kontakte zum Autokanzler können helfen, Ihren Vertrag vorzeitig um fünf Jahre zu verlängern.

9. Sorgen Sie dafür, dass das Bahnnetz klein und kompakt wird!Weichen und Ausweichstellen sind nur Kostentreiber. Sollte es zu Verspätungen kommen und Ihnen fehlt der Rangierplatz, müssen Sie sich eben etwas einfallen lassen, um die quengelnden Reisenden ruhig zu stellen. Eisregen zu Weihnachten, ein Schmierfilm auf den Gleisen durch das Herbstlaub – gegen höhere Gewalt kann ja wohl niemand anstänkern.

10. Kappen Sie möglichst viele Gleisanschlüsse im Güterverkehr!Ihre Kunden wollen schließlich etwas transportiert haben, nicht Sie! Bauen Sie zentrale, teure Umschlagplätze mit großen Krananlagen; da dürfen die Leute dann mit ihrem Krempel hinkommen. Fangen Sie bloß nicht an wie in der Schweiz, wo einzelne Container zu fast jedem Bahnhof gebracht werden. Solch ein System ist technisch viel zu simpel. Deutschland muss schließlich Hightech bieten.