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Archiv-Artikel

Von der Synagoge erzählen

Nicht nur an die Reichspogromnacht 1938, sondern auch an christlich-jüdische Kooperation wollen die Herbsttage der Jüdischen Musik in Hannover erinnern. Wussten Sie etwa, dass Franz Schubert Psalmvertonungen für den Wiener Kantor schrieb?

Andor Iszák schätzt den Konsens. Nicht in irgendeinem opportunistischen Sinne, sondern ganz pragmatisch: Was Christen und Juden verbindet, will er zeigen. Psalmen hat der Leiter des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik in Hannover deshalb ins Zentrum der am 8. November beginnenden „Herbsttage der Jüdischen Musik“ gestellt. Denn die alttestamentarischen Lob- und Klagegesänge, die den Fundus auch christlicher Gebete bilden, „sind unser gemeinsamer Schatz“, sagt Iszák.

Die Verflechtung von Juden und Christen ist vielschichtig. Besonders im 19. Jahrhundert wirkten jüdische Kantoren oft mit christlichen Komponisten zusammen, zum Beispiel in Wien: Franz Schubert komponierte Psalmvertonungen für den dortigen Kantor Salomon Sulzer, dessen Bariton legendär war. „Solche Werke sind kaum bekannt“, sagt Iszák, „weil sie ja für die Synagoge bestimmt waren, in der sie schon lange nicht mehr gespielt werden können.“ Grund genug für ihn, nun Psalmvertonungen ins Programm aufzunehmen, solche von Schubert und solche von Louis Lewandowsky; letzterer war aufgrund seiner liturgischen Kompositionen für Orgel und gemischten Chor lange umstritten. Eigentlich durften „seit der biblischen Zerstörung des Jerusalemer Tempels samt Orgel in der Diaspora keine Synagogen mit Orgel gebaut werden“, erzählt Iszák. Die Diaspora-Gottesdienste sollten als „Provisorium“ gelten – bis der Messias kommen und man den Jerusalemer Tempel wieder aufbauen würde. Das Tabu brach dann im Jahre 1810 der Braunschweiger Rabbiner Israel Jacobson, indem er seine Synagoge mit einer Orgel ausstattete. Was folgte, war ein jahrzehntelanger Streit zwischen orthodoxen und liberalen Juden.

Zu den Liberalen zählt sich auch Iszák selbst, ohne dass er sein Programm politisch verstanden wissen will. „Für mich ist die Orgel Teil der jüdischen Identität“, sagt er. „Deshalb bin ich froh, während des Festivals in christliche Kirchen ausweichen zu können, denn die neue hannoversche Synagoge hat keine Orgel.“ Die alte Synagoge wurde 1938 zerstört – während der Reichspogromnacht. Vermeintlicher Anlass war die Ermordung eines deutschen Botschaftsangehörigen durch den 17-jährigen polnischen Juden Herschel Gynspan in Paris. Der 1998 verstorbene britische Komponist Michael Tippett hat diese Tat ins Zentrum seines Oratoriums „A Child fo Our Time“ gestellt, das nun in Hannover ebenso aufgeführt wird wie Steve Reichs Komposition „Different Trains“ für Streichquartett und ein Tonband mit Zitaten von Holocaust-Überlebenden. „Wäre ich ab 1939 in Europa gewesen, wäre ich auf andern Zügen gefahren“, hat der New Yorker Reich selbst über das Stück gesagt.

Auch dass Gustav Mahler, obwohl zum Katholizismus konvertiert, lebenslang antisemitisch motivierten Kampagnen ausgesetzt war, ist eine Erinnerung wert. In Hannover wird am 9. November seine „Auferstehungssinfonie“ erklingen – und das Motto der Musiktage illustrieren. Mit „Gedenken und Zuversicht“ sind die Tage überschrieben, und wenn man Iszák fragt, ob er jüdische Identität in Deutschland wieder beleben wolle, verneint er das. „Ich habe zwar bewusst die liberale Tradition auf meine Fahnen geschrieben, weil es die in Deutschland nicht mehr so gibt wie vor der Shoah“, sagt er. „Aber dass diese Musiktage die jüdische Liturgie hierzulande wieder beleben, glaube ich nicht. Es wäre ein schöner Traum. Aber ich stehe mit beiden Füßen auf dem Boden.“ PETRA SCHELLEN

Herbsttage der Jüdischen Musik Hannover: 8.– 16. 11. www.ezjm.hmt-hannover.de