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Archiv-Artikel

Gotteshäuser zweckentfremdet

40 niedersächsische Synagogen haben Pogromnacht und die Abrisse nach 1945 überstanden. Nur zwei davon dienen als Gedenkstätten. Die übrigen wurden Wohnungen, Garagen oder Elektroläden

VON JOACHIM GÖRES

1933 gab es im Deutschen Reich etwa 1.800 Synagogen. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 zerstörten die Nationalsozialisten rund 1.200 der jüdischen Gotteshäuser. An manchen Orten wurden Gemeindemitglieder in die Synagoge eingesperrt und mit angezündet – eine zynische Antizipation dessen, was die Nazis mit den europäischen Juden planten.

Etwa 600 Synagogen blieben aus unterschiedlichen Gründen während der Reichspogromnacht verschont. Die meisten von ihnen wurden allerdings nach 1945 abgerissen. „Es gab keine jüdischen Gemeinden mehr, die Synagoge stand leer und verfiel und niemand interessierte sich dafür“, sagt Ulrich Knufinke, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für jüdische Architektur in Braunschweig, dessen Träger der Verein Bet Tfila („Haus des Gebets“) ist. Dort wird seit einigen Jahren unter anderem erforscht, wie viel jüdische Architektur heute noch in Deutschland existiert.

In Niedersachsen wurden rund 20 verfallene Synagogen vor allem in den 50er Jahren abgerissen, etwa in Goslar und Hannoversch Münden. In Bückeburg und Delmenhorst baute man Synagogen so zu Wohnhäusern um, dass von ihrer einstigen Gestalt wenig übrig blieb. „In vielen Orten gibt es zumindest Tafeln, die an die ursprüngliche Nutzung erinnern. In Delmenhorst erkennt man zudem am Baustil, dass dieses Gebäude kein normales Wohnhaus ist“, sagt Knufinke.

Doch es gibt auch profanere Nutzungen: In Esens verwandelte man die Synagoge in eine Garage. In Melle-Buer wurde aus ihr ein Elektroladen, der im vergangenen Jahr umgebaut wurde und dabei noch mehr historische Bausubstanz verlor. Eine Besonderheit ist die einstige Synagoge von Bodenfelde, die dort abgetragen wurde und an diesem Wochenende in Göttingen wieder eingeweiht wird (taz berichtete).

Wenn Knufinke den heutigen Bewohnern der umgenutzten Synagogen von deren früherer Nutzung berichtet, erntet er oft reservierte Reaktionen: „Beim Kauf ist alles rechtens abgelaufen“, heißt es dann. Meistens seien die Menschen aber aufgeschlossen für nähere Informationen zur Geschichte ihres Hauses, sagt er.

Fast alle 40 erhaltenen Synagogen in Niedersachsen werden heute privat genutzt. Nur im ostfriesischen Dornum sowie in Celle sind sie als Gedenkstätten der Öffentlichkeit zugänglich. In Celle werden in der 1740 erbauten und damit ältesten erhaltenen Synagoge Norddeutschlands auch wieder Gottesdienste gefeiert, nachdem sich durch den Zuzug von Juden aus Osteuropa dort wieder eine jüdische Gemeinde gegründet hat. Dazu wäre es fast nicht gekommen. Die Stadt Celle kaufte 1969 die Synagoge, um sie abzureißen und an dieser Stelle die Straße zu verbreitern. Dafür fehlte zunächst das Geld und einzelne Personen setzten sich dann erfolgreich für den Erhalt ein.

Tatsächlich sind auch heute noch jüdische Gebäude gefährdet. So wurde vor drei Jahren in Osterholz-Scharmbeck die im Besitz der Stadt befindliche alte Synagoge abgerissen, in der zuletzt Büros und Wohnungen waren. Dort steht heute ein Einkaufszentrum. Knufinke: „Die Denkmalpflege hielt das Gebäude nicht für erhaltenswert, dabei konnte man hier noch Ausmalungen des Synagogenraums finden. Das konnten wir wenigstens noch dokumentieren.“ Heute erinnert in Osterholz-Scharmbeck nur noch ein Mahnmal an das einstige Gotteshaus.