: Flucht aus der Provinz
Borussia Dortmund schlägt Lokomotive Moskau leicht und locker mit 3:0 und darf ein bisschen weiterhoffen auf den Einzug ins Viertelfinale der Champions League – bis zum nächsten Dienstag
aus Dortmund WIGLAF DROSTE
Enttäuschte Fußballfans sind gemein und vergesslich. In der letzten Saison trugen viele Anhänger Borussia Dortmunds dem Stürmer Marcio Amoroso noch das Heiland-, Retter- und Erlöserdiplom hinterher, spätestens seit dem 1:1 gegen Real Madrid vor 14 Tagen aber gilt er ihnen, neben Guiseppe Reina, als dümmster Dortmunder Spieler. „Der hat doch nichts im Kopf als ‚Mann, find ich mich wieder schön heute mit meinem Goldschmuck!‘ “, schimpfte ein schwarzgelb beschalter Mann am Mittwochabend auf dem Weg ins Westfalenstadion. Und sein Begleiter forderte meckernd: „Amoroso in die Produktion!“
In der Champions-League-Partie gegen Lokomotive Moskau spielte Amoroso von Beginn an und präsentierte etwas Besseres als die Mischung aus verbissener Einzelwurschtelei und beleidigtem Herumstehen, die zuletzt die Gemüter von Mitspielern und Zuschauern erregt hatte. Er verteidigte, rannte, flankte, bereitete vor – kurz: Er war Teil seiner Mannschaft, und als er in der 66. Minute das Tor zum 3:0-Endstand schoss, hatten sie ihn schon wieder ziemlich lieb. Ackern, malochen und sich kaputtmachen gelten hier mehr als das Potenzial zur Eleganz – vor allem, wenn es nicht ausgeschöpft wird. Dass einer schön Fußball spielen kann, wird im Erfolgsfall honoriert und gefeiert, aber wer die Grenze zur Schönspielerei überschreitet, macht sich unbeliebt.
Damit hat Jan Koller kein Problem. Der lächelnde Riese wird in Dortmund gerade zur märchenhaften Gestalt. Er verkörpert, was Borussia sein möchte: die erfolgreiche Verbindung von harter Arbeit, Leidenschaft, Spielfreude und Glanz. Der Tscheche dribbelte, ließ brasilianische Ballbehandlung sehen und machte nach Vorarbeit von Amoroso und Ewerthon in der 58. Minute das 2:0. Es scheint nichts auf dem Fußballplatz zu geben, das Jan Koller nicht kann oder doch unbedingt lernen will – sogar als Torwart machte er schon eine gute Figur. „Here comes the sun, her name is Jan“, reimte Fritz Eckenga, und man hört von Plänen, Koller zu klonen und dann auf mindestens sechs Positionen einzusetzen.
Thorsten Frings hätte auch dann noch einen Stammplatz sicher. Wie Koller ist er ein Allrounder, einer, der sich zerreißt – und einer, der ein entscheidendes Tor schießen kann. Nachdem Sebastian Kehl in der 32. Minute mit einem Schuss aus der zweiten Reihe den rechten Innenpfosten getroffen hatte, hämmerte Frings den Ball sieben Minuten später aus ähnlicher Position zum 1:0 ins Tor. Das war dringend nötig; zwar erspielte sich Lokomotive Moskau in der ersten Halbzeit keine wirkliche Torchance, aber Dortmund hat feldüberlegen geführte Partien schon gegen weit schwächere Gegner als diesen verloren.
Das ist vor allem Trainer Matthias Sammer klar. In der Pressekonferenz kam er bei fast jeder Frage auf das 0:1 in Mönchengladbach am vergangenen Samstag zu sprechen. Tagelang habe er überlegt, was man da machen könne, jetzt komme Hannover 96, da dürfe man nicht wieder erst hinterher wissen, was man aus den Fehlern lernen könne. Der Mann weiß, welches Potenzial in seiner Mannschaft steckt – inklusive der Fähigkeit, absolut nichts aus sich zu machen. Der Fußballprovinz scheint man vor allem durch die Teilnahme an der Champions League entfliehen zu können – nur muss man dazu die Provinz erst mal schlagen.
Für die Hoffnungsbedürftigen unter den Dortmundern war denn auch nicht Matthias Sammer zuständig, sondern sein Moskauer Trainerkollege. Yuri Semin monierte, ohne Spielmacher Loskow und Abwehrchef Nijegodorow sehr gehandicapt gewesen zu sein. Beim letzten Gruppenspiel gegen Madrid nächsten Dienstag seien die Gelbgesperrten aber wieder dabei, und seine Mannschaft werde alles tun, um zu gewinnen. Der Borussia käme das im Kampf um Gruppenplatz zwei sehr gelegen.
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