: Der etwas andere Stromkonzern
Die Mannheimer MVV Energie AG will in fünf Jahren die Hälfte ihres Strombezugs mit erneuerbaren Energien decken. Ökostrom-Kraftwerke sollen dann 600 MW leisten
Es gibt Sätze, die sind unter Deutschlands Stromriesen tabu. Dieser zum Beispiel: „Regenerativen Energien gehört die Zukunft.“ Denn den vier Branchenriesen – E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall Europe – klingen die erneuerbaren Energien stets so gefährlich nach Konkurrenz. Also singen sie lieber das Hohelied von Kohle und Atom und reden abschätzig von den „additiven Energien“, wenn sie die erneuerbaren meinen – das hört sich so schön nach Randerscheinung an. Erinnert sei an die Anzeigen der Stromwirtschaft in den frühen 90er-Jahren: Die erneuerbaren Energien, hieß es dort, könnten „auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken“.
Doch plötzlich schlägt der Fünftgrößte unter den Stromkonzernen aus der Art. Die Mannheimer MVV Energie AG druckt den inkriminierten Satz gar in ihren Farbanzeigen der Hochglanzmagazine. „Regenerativen Energien gehört die Zukunft“ – genau so stand’s beispielsweise im Spiegel. Und dazu noch weitere Sätze ähnlichen Inhalts: „Heute Wind zum Segeln – morgen zur Energieerzeugung“, war in Millionenauflage zu lesen. Oder auch: „Wär’ es nicht intelligenter, unseren Energiebedarf auch mit der Sonne zu decken?“
Nun könnte man an schlichte Imagewerbung eines pfiffigen Unternehmens glauben. Denn die erneuerbaren Energien genießen in der Bevölkerung einen unschlagbar guten Ruf. Und die MVV – einst aus den Mannheimer Stadtwerken hervorgegangen – kann als börsennotiertes Unternehmen ein wenig Imagepflege immer brauchen.
Doch das ist es nicht alleine. Denn längst hat die MVV auch erhebliche Mengen Geld in die Hand genommen, um sich in den Branchen Sonne, Wind und Biomasse zu engagieren. Mit dem Windanlagenhersteller DeWind gründete sie zum Beispiel im Oktober 2001 die gemeinsame Tochter renewable energy development (neuer Name: eternegy GmbH), die inzwischen mehrere hundert Megawatt Windkraft in Planung hat.
Oder die Biomasse: 255 Millionen Euro wollen die Mannheimer bis 2005 in Holzheizwerke und Holzkraftwerke investieren. Acht Projekte sind im Bau, in Planung oder bereits in Betrieb. Slogan der MVV: „Biomasse – ein Energie-Joint-Venture mit der Natur.“ Die beiden größten Anlagen mit jeweils 20 Megawatt elektrischer Leistung werden in diesem Jahr in Mannheim und Königs Wusterhausen in Betrieb gehen. Vorstandschef Roland Hartung will erreichen, dass die MVV in fünf Jahren die Hälfte ihres Strombezugs regenerativ deckt. Auf 600 Megawatt will er bis dahin die Leistung seiner Ökostrom-Kraftwerke ausbauen.
In der Sparte Solarenergie allerdings musste das größte Projekt im vergangenen Jahr auf Eis gelegt werden: eine eigene Solarfabrik der MVV. Intensiv hatte das Unternehmen geprüft, in Obrigheim eine Fertigung von Dünnschichtzellen aufzubauen – an jenem symbolträchtigen Standort, an dem der Uralt-Atommeiler der EnBW im Jahr 2005 vom Netz geht. Doch die Fertigungsstätte konnte auf keine wirtschaftlich Basis gestellt werden. Anders sieht es in den USA aus: In Princeton im Bundesstaat New Jersey fertigt eine MVV-Tochter längst Solarzellen.
Und auch die Geothermie gehört bereits zum Portfolio der Mannheimer: Im tschechischen Dečin betreibt die MVV seit vergangenem Herbst die größte Erdwärme-Anlage des Landes. Das Wasser aus 400 Meter Tiefe wird in ein zehn Kilometer langes Nahwärmenetz gespeist. Auch von dieser Energie verspricht man sich noch erhebliche Potenziale.
Doch was treibt nun die MVV, sich so völlig anders zu positionieren als die Branchengiganten? Zuvorderst der Pragmatismus. Den kann sich Manager Hartung leisten, weil er im Gegensatz zu vielen seiner Branchenkollegen keine ideologisch motivierten Berührungsängste gegenüber den neuen Energien pflegt – was ihm realistische Einschätzungen erleichtert: „Die zukünftige Energieversorgung wird eine dezentrale sein“, weiß er.
Zumal auch die Politik diese Entwicklung unterstützt: Die EU will den Anteil der erneuerbaren Energien noch in diesem Jahrzehnt deutlich ausbauen. Ein „herausforderndes und chancenreiches Wachstumsfeld“ eröffne sich damit für die MVV, sagt auch Matthias Eichelbrönner, zuständig im Unternehmen für die erneuerbaren Energien. Die Mannheimer haben Erfolg damit: Um 15 Prozent stieg der Konzernumsatz im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2002/03 gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das operative Ergebnis (EBIT) stieg gar um 64 Prozent.
Womöglich mag es nun mancher Ökofreund bedauern, dass Manager Hartung nicht aus ideologischer Überzeugung handelt, sondern mit kühlem Sachverstand auf die erneuerbaren Energien setzt. Doch das positive Signal dürfte am Ende viel wichtiger sein: Wenn sich schon ein Vollblutökonom wie Hartung dieses Themas annimmt, so wird damit offenkundig, dass die erneuerbaren Energien auch wirtschaftlich eine große Zukunft haben. BERNWARD JANZING