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schweizer buchpreisMuschg stiehlt Lappert die Show

Nun hat auch die Schweiz ihren kleinen Eklat, ihren kleinen Fall „Reich-Ranicki“. Durch die empörungsbereiten und aufmerksamsgeilen Online-Platformen des Zürcher Medienkonzerns Tamedia rauschen Schlagzeilen wie „Adolf Muschg ist ein Heuchler“ und entsprechende Kommentare, im Interview im Blick aber, dem nationalen Boulevardmedium, das dem politisch korrekten Mainstream verpflichtet ist, kommt der Protestant Muschg zum Schluss: „Ich bin mit mir selber im Reinen.“

Was ist geschehen? Die Schweiz ist klein: Es gibt in der Schweiz keine Elke Heidenreich (so was würden Schweizer nicht ertragen). Wie also ein Buch promoten?

Der Verleger Egon Ammann (Träger des Bundesverdienstkreuzes I. Klasse) rief den „Schweizer Buchpreis“ ins Leben, der mit dem üblichen Glamour und PR-Getöse an der „Buch Basel“ verliehen wurde. Na ja, ein bisschen eidgenössische Paulskirche auf dem Gelände der Basler Mustermesse. Natürlich wurden Namen genannt, 87 Bücher geprüft, Listen zusammengestellt: das übliche Theater. Die Shortlist umfasste fünf Werke (Alter/Seitenzahl): Lukas Bärfuss: „Hundert Tage“ (38/197), Anja Jardine: „Als der Mond vom Himmel fiel“ (40/302), Rolf Lappert: „Nach Hause schwimmen“ (50/544), Adolf Muschg: „Kinderhochzeit“ (74/580), Peter Stamm: „Wir fliegen“ (45/240). Adolf Muschg hat als Ältester das dickste Buch geschrieben, und dem emeritierten Literaturprofessor und gewesenen Präsidenten der Akademie war die Sache von Anfang an nicht so ganz geheuer. Eigentlich hätte der „letzte eidgenössische Grossintellektuelle“, sich aus dem Rennen nehmen wollen, sollen, ja müssen.

Muschg war – so berichtet er dem Blick – auf Lesereise und zusätzlich unwohl: am Magen, der Leber, Altersgebresten eben. So schob er das erlösende Telefonat an die Jury hinaus. Man nennt dies neudeutsch: Prokrastination. Und Muschg als Altpfadfinder „Allzeit bereit“ hatte ja zugesagt: Doch, ich mache mit als Demokrat und Literat und sowieso. Die Atmosphäre auf dem Podium, die faszinierten Blicke der Feuilletonistinnen, die Kollegen, das Blitzlichtgewitter, das alles konnte, wollte, durfte er sich nicht entgehen lassen. Und so nahm er sein Buch, das er am Samstag noch lesend vorstellte, erst am Abend aus dem Rennen und verließ Basel in der Nacht auf den Sonntag der Prämierung.

Wir sind in der Schweiz. Wir haben keinen Gottschalk, keinen Reich-Ranicki. Wer sollte da noch rettend eingreifen? Nein, er wolle gar kein Werturteil über die Veranstaltung und den Literaturbetrieb damit abgeben (das wäre unschweizerisch), meint nun Muschg und: „Ich bin mit mir selber im Reinen.“ Gewonnen hat aber die 50.000 Franken Rolf Lappert für seinen Roman „Nach Hause schwimmen“.GIORGIO V. GIRARDET

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