Gescheiterte Strategien

aus Wien RALF LEONHARD

Der Duft von Marihuana wabert in der Luft. In die Jahre gekommene Hippies mit Künstlerkappe und Rauschebart reichen ihre Joints an trendig gekleidete Studentinnen weiter. Spanisch, Italienisch, Wienerisch und viel schlechtes Englisch ist zu hören. Auf dem Campus der Uni Wien tagt am Wochenende unter dem Motto „Recht auf Rausch“ der „Offene utopische nonprohibitionistische Kongress“. Alles ist locker und zwanglos bei dem internationalen Treffen, vor allem die Anfangszeiten der Veranstaltungen unter so viel versprechenden Titeln wie „Dealen als Arbeit“. Bei einer Podiumsdiskussion, die ohne Podium stattfindet, weil sich die geladenen Gäste mit verschiedenen Ausreden entschuldigen lassen, moniert ein spanischer Delegierter, dass diese Versammlung schwerlich als Gegenveranstaltung zum Gipfel der Drogenkommission der Vereinten Nationen ernst genommen werden könne. Applaus.

Am anderen Donauufer, in den Konferenzräumen des Vienna International Center, wird bis 17. April die Halbzeitbilanz des ehrgeizigen Drogenbekämpfungsprogramms der UNO gezogen. Eine Welt ohne Drogen binnen zehn Jahren hatte die Sondersitzung der UNO-Generalversammlung in New York 1998 gefordert. Die Zwischenbilanz ist, obwohl sich die Verantwortlichen bemühen, die bescheidenen Erfolge hochzuspielen, ernüchternd. So sei die Produktion von Opium und Heroin konstant geblieben, die Anbaufläche des Cocastrauchs leicht rückläufig und die Verbreitung von Cannabis und synthetischen Drogen weltweit im Ansteigen. Das ist im Bericht „Encouraging progress towards distant goals“ von Antonio María Costa, dem Direktor des Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (ODC) in Wien nachzulesen.

Dem Siegeszug von Ecstasy und anderen Amphetaminpillen haben die Drogenbekämpfer wenig entgegenzusetzen. Diese Halluzinogene können leicht und billig in kleinen Labors hergestellt werden. Deswegen konzentriert man sich auf die traditionellen Drogen wie Opiate und Kokain. Deren Produzenten erweisen sich allerdings als weit flexibler als die Bekämpfer. So steht Erfolgen bei der Schlafmohnvernichtung in Birma und Laos die sprunghafte Zunahme der Produktion im Post-Taliban-Afghanistan gegenüber. Geringere Coca-Anbauflächen in Peru und Bolivien werden durch die Ausweitung des Anbaus in Kolumbien weitgehend kompensiert. Für das Transnational Institute (TNI) in Amsterdam, das sich seit Jahren wissenschaftlich mit Drogenpolitik befasst, hängt das Scheitern der Antidrogenstrategie mit deren repressivem Ansatz zusammen. Gleichzeitig werde eine offene Debatte im Keim erstickt. Selbst eine 1995 von Experten der Weltgesundheitsorganisation erarbeitete Studie über den Kokainkonsum, die die Annahmen der Gesundheits- und Bewusstseinsschädlichkeit hinterfragte, durfte nach einer Intervention der USA nicht publiziert werden. In den meisten Ländern ist eine offene Debatte über andere als repressive Methoden kaum zu führen. Das bekamen etwa die österreichischen Grünen zu spüren, die sich im jüngsten Wahlkampf für die Entkriminalisierung leichter Drogen einsetzten: Sie wurden von den anderen Parteien beschuldigt, sie würden die Jugend den Drogenhändlern in die Arme treiben.

Das UN-Drogenkontrollprogramm versucht wohl, den Bauern als Ersatz für ihre Coca- oder Schlafmohnfelder alternative Kulturen schmackhaft zu machen. Doch ihre Möglichkeiten sind, wie Antonio Costa gegenüber der taz zugab, gering. Mit einem Zweijahresbudget von 83,2 Millionen Dollar hat das ODC weniger als 9 Prozent der Mittel zur Verfügung, die allein das „Bureau for International Narcotics and Law Enforcement“ des US-Außenministeriums ausgeben kann. Und die USA setzen traditionell auf Repression. Zwar ist neben der Vernichtung illegaler Kulturen auch die Förderung von Alternativen vorgesehen, doch werden diese Programme in der Praxis halbherzig angegangen. Sogar der Rechnungshof in Washington beanstandete, dass von den dafür vorgesehenen 56 Millionen Dollar nur 6 Millionen abgerufen wurden.

Großbritanniens Innenminister David Blunkett stellte im Vorfeld der UN-Konferenz fest, dass selbst das viel bescheidenere Ziel seines Landes, bis 2008 den Kokain- und Heroinkonsum von Jugendlichen zu halbieren, „nicht glaubwürdig“ sei. Griechenlands Außenminister Giorgos Papandreou schlug deshalb vor, die internationalen Drogenkonventionen zu überprüfen. Eine offene Debatte solle vom Eingeständnis ausgehen, dass „auf diesem Gebiet Theorie und Praxis weit auseinander liegen“. Denn selbst die Versuche einiger Staaten, an Fixer saubere Nadeln zu verteilen oder den Besitz von Cannabis zu entkriminalisieren, verstoßen gegen die starre Wiener Drogenkonvention von 1961. Das blinde Festhalten an unrealistischen Zielen, so auch die Autoren eines Debattenpapiers des TNI, verhindere jeden echten Fortschritt.