Die Nase des Kutschers

Die trickreiche Kriminalgeschichte liegt wie ein Vexierbild im Film verborgen: György Pálfis „Hukkle – Das Dorf“ist ein fast wortloser Film mit Szenen aus dem ungarischen Landleben, die unweigerlich in ihren Bann ziehen

Die Kamera reiht im wilden Wechsel von Mikro- zu Makrokosmos aneinander

Das Schöne an Verschwörungstheorien ist der Reißverschlusseffekt: Alles hängt mit allem zusammen. So kann es denn auch kein Zufall sein, dass eine Woche nach „Punch Drunk Love“ ein Film aus Ungarn bei uns in die Kinos kommt, über den niemand Geringeres als P. T. Anderson selbst sich lobend geäußert haben soll. Die Netzgemeinde verbürgt dies, was zunächst einmal einiges über den Autoritätsstatus aussagt, den Anderson inzwischen erlangt hat. Anderseits aber auch etwas über den kleinen Film „Hukkle“, schließlich unterstellt man dem Regisseur, der in „Magnolia“ die Kröten vom Himmel regnen ließ, einen recht ungewöhnlichen Geschmack.

„Hukkle“ enttäuscht solche Erwartungen keineswegs. Wem das Zappen zwischen den Nahaufnahmen aus der Tierwelt im „Discovery Channel“ und denen der Menschenwelt in den „Medical detectives“-Formaten noch nicht zur zweiten Natur geworden ist, wird vielleicht etwas länger brauchen. Aber auch ihn wird dieser fast wortlose Film mit seinen Szenen aus dem ungarischen Landleben unweigerlich in seinen Bann ziehen – zumal er präzise mit dem Ton arbeitet und dennoch dem Zuschauer kein mühsames Untertitel-Lesen aufbürdet.

Erst scheint es keinen Zusammenhang zu geben zwischen der raschelnden Schlange zu Beginn und dem vom Schluckauf geplagten alten Mann, der – „hicks!“ – ein wenig Milch verschüttet und sich dann vor sein Häuschen setzt. Ein Pferdewagen kommt vorbei. Der Kutscher lenkt im Halbschlaf sein Gefährt auf ein Feld. In der Nähe hütet ein Mädchen eine Herde Schafe. Sanft bläst sie einen Marienkäfer von der Hand. Der landet binnen Kurzem auf der Nase des Kutschers. Womit nur eine von vielen möglichen Beziehungen angedeutet wäre.

Die Kamera erzählt nicht, sie reiht nur aneinander, im wilden Wechsel von Mikro- zu Makrokosmos, von der Innenansicht eines Ameisenhaufens zum Flug über die Landschaft. Wie die Glieder einer Kette greift jede Szene ein Element der vorhergehenden auf: Das Bild der Honigschleuder geht über in das der sich drehenden Fahrradspeichen. Der Regenwurm wird vom Maulwurf gefressen, der in der nächsten Szene ausgegraben, erschlagen und schließlich dem Hofhund zum Fraß vorgeworfen wird.

Die Verknüpfungen sind häufig rein assoziativ und gehen von einer bestimmten Bewegung in den Bildern aus, um dann metaphorisch zu werden – wie der Angler dem Fisch, so kommt schließlich der Polizist der Giftmischerin auf die Spur. Wer sich allerdings bei der Suche nach versteckten Hinweisen in den Bildern zu sehr auf etwas Bestimmtes konzentriert, dem entgeht mit hoher Wahrscheinlichkeit das Wichtigste.

Denn der Krimiplot liegt wie ein Vexierbild im Film verborgen: Gerade noch sitzen Bauer und Bäuerin nach der Kopulation ihrer Schweine beim Umtrunk zusammen, als über ihre Schultern die Kamera sich an eine alte Frau heranzoomt, die in ihrem Häuschen kleine Fläschchen präpariert. Um den Krimi zu enträtseln, bedarf es eines detektivischen Blicks, den man dazu noch für keine zwei Sekunden von der Leinwand abwenden darf. Gerade mal so lange ist etwa der Großvater auf der Beerdigung zu sehen – und damit klar gestellt, dass der erste Mordanschlag schief ging. Das Gift, das die Großmutter ihm in den Nahrungsbrei mengte, konnte ihm nichts anhaben – kostete aber einer Katze und dem kleinen Mädchen, das mit ihr zusammen die Reste aus dem Mixer schleckte, das Leben.

„Hukkle“, mit knapp 78 Minuten eher zu kurz als zu lang, verlockt zum mehrmaligen Sehen. Wer sich dazu verführen lässt, wird den seltsamen Effekt erleben, dass sich die eben gewonnenen Gewissheiten wieder auflösen und alles vielleicht doch wieder ganz anders zusammenhängen könnte.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„Hukkle – Das Dorf“. Regie: György Pálfi. Mit Ferenc Bandi, Józsefné Rácz u. a., 78 Minuten, Ungarn 2002