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Von Büchern und ihren Festen

Lesen als kollektives Ereignis: Ob bei Sonne auf dem Kollwitzplatz oder nachts auf der Oranienstraße, die Bücherfeste und Literatur-Events boomen in Berlin. Doch neben der inhaltlichen Abgrenzung wachsen auch die Probleme der Finanzierung

von ANNE KRAUME

An manchen Ecken des Kollwitzplatzes konnte man es an diesem Sonntag noch entdecken: dass Lesen nämlich eigentlich etwas Intimes ist, eine Art Gespräch womöglich, das man mit dem Buch oder seinem Erzähler führen kann. Wenn man die Erfahrungen dabei später mit anderen teilen kann, umso besser: Werther und seiner Lotte genügte es, nur den Namen „Klopstock“ auszusprechen, um sich und die Welt zu verstehen. Aber das Lesen selbst ist doch zunächst eher eine zurückgezogene Kulturtechnik. Eine Technik, wie sie das kleine Mädchen auf der Bank am Kollwitzplatz praktiziert, das gebannt die Abenteuer des weltreisenden Hasen Felix in seinem Bilderbuch verfolgt.

In den letzten Jahren hat es in Berlin immer wieder Initiativen gegeben, diese Zurückgezogenheit des Lesens zu überwinden und der Literatur ein Forum zu schaffen. Die Bandbreite dieser Versuche reicht von kieznahen Veranstaltungen wie dem Bücherfest auf dem Kollwitzplatz oder der Buchnacht in der Oranienstraße bis hin zu Events mit einem Anspruch, der weit über Berlin hinausgeht: Das ist beim Internationalen Literaturfestival der Fall, das im September zum dritten Mal stattfinden wird und noch größer, schöner, internationaler und bunter ausfallen soll als bisher.

Das Bücherfest auf dem Kollwitzplatz ist dagegen der traditionelle Auftakt der Literaturwoche Prenzlauer Berg. Zum sechsten Mal haben sich zwischen Husemannstraße und Wörther Straße Verlage und Buchhandlungen präsentiert, von denen die Initiatorin, die Buchhändlerin Sabeth Vilmar, sagt, sie hätten ein ausgeprägtes eigenes Profil, seien engagiert und unabhängig. Schlendern, blättern, querlesen, schauen, kaufen: Die sommerlich-sonntägliche Atmosphäre ist am Kollwitzplatz entspannt genug. In den Cafés sitzen den ganzen Tag die Frühstücker, auf der Lesebühne wird zwischendurch „Summertime“ auf dem Klavier gespielt, die Stände mit den Kinderbüchern sind umlagert. Nebenan erklärt ein Verlagsmensch einer potenziellen Kundin den „minimalistischen Hyperrealismus“ von Raymond Carvers Geschichten.

Als Sabeth Vilmar das Bücherfest vor sechs Jahren ins Leben rief, hoffte sie damit sowohl die Unabhängigkeit der Literatur zu fördern wie auch den Dialog mit der Literatur und über sie. Immer wieder war auch die Rede davon, dass der Prenzlauer Berg ein besonders literaturtauglicher Bezirk sei: „Hier entsteht Literatur, hier wird sie gelesen, übersetzt und verbreitet“, behauptet der Verein LiteraturOrt Prenzlauer Berg auf seiner Homepage. Fest steht jedenfalls, dass die Einbindung in einen Stadtteil der Literaturwoche bisher nur gut getan hat. Die Veranstaltungen finden in den Buchhandlungen und Bibliotheken des Bezirks statt, es lesen – nicht nur, aber auch – Autoren, die selbst in Prenzlauer Berg wohnen, Judith Hermann zum Beispiel und Tanja Dückers. Die Beschränkung macht die Veranstaltung flexibler und, auch das muss gesagt werden, billiger.

Denn nur allzu oft scheitert die Literatur am Geld. Eines der großen Literaturfestivals Berlins, das Bücherfest auf dem Bebelplatz, wird dieses Jahr wegen mangelnder Finanzierung ausfallen. Zum ersten Mal hätte das Bücherfest unabhängig vom Poesiefestival der Literaturwerkstatt Berlin stattfinden sollen, nachdem man sich drei Jahre lang gemeinsam organisierte, dann aber einvernehmlich die Trennung beschloss: Man habe sich zu sehr auseinander entwickelt, sagt die Pressesprecherin der Literaturwerkstatt, Heidemarie Schmidt. Das Bücherfest habe an einer traditionelleren Veranstaltungsform mit Lesungen und Verlagsständen festhalten wollen, während sich das Poesiefestival mit modernen Formen wie dem Poetryfilmfestival im letzten Jahr oder Projekten von Lyrik im Netz eher als „Avantgarde“ versteht.

Während nun das Poesiefestival wie geplant am 26. Juni beginnen kann, musste der Börsenverein der Verlage und Buchhändler sein Fest kurzfristig absagen: Nach der Trennung vom Poesiefestival bekam man wider Erwarten die Lottomittel nicht mehr bewilligt, die einen guten Teil der Finanzierung ausmachen, und hat außerdem noch einen wichtigen Sponsor verloren, wie Jutta Becker, die zuständige Projektleiterin, erläutert. Sie legt aber Wert darauf festzustellen, dass es nicht an der Konkurrenz gelegen habe: „In Berlin wäre genug Platz für alle drei großen Festivals, das Bücherfest auf dem Bebelplatz, das Poesiefestival der Literaturwerkstatt und das Internationale Literaturfestival im September. Die starke inhaltliche Profilierung hätte der Stadt eher gut getan!“

Sabeth Vilmar vom LiteraturOrt Prenzlauer Berg, die die Probleme der Großen angesichts des Erfolgs ihres kleineren Bücherfests entspannter betrachten kann, wagt trotzdem die These: Für Initiativen, die einfach nur Bücher im Mittelpunkt haben, gibt’s kein Geld. Da muss sich die Veranstaltung schon als großes Literatur-Event verkaufen lassen – oder neue Formen der Literaturvermittlung ausprobieren, wie es das Poesiefestival versucht. Wo sich die Großen mühsam gegeneinander abzugrenzen versuchen, könnte sich Vilmar jedenfalls durchaus eine stärkere Zusammenarbeit der Kleinen vorstellen: „Vielleicht können wir in Zukunft stärker mit der Buchnacht in der Oranienstraße kooperieren.“ Wem das alles zu verwickelt ist, der kann sich ja auf eine Bank am Kollwitzplatz setzen und von Felix, dem weltreisenden Hasen, lesen. Oder am Fenster stehend „Klopstock“ seufzen.

Die Literaturwoche geht bis 17. Mai. Heute liest Judith Hermann um 20 Uhr im Georg-Büchner-Buchladen, morgen um 20 Uhr André Kubiczek in der Bettina-von-Arnim-Bibliothek

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