: Ohne Orientierung
Bremer Allerlei: SPD-CDU beseitigt Orientierungsstufe – und lässt kleinen Schulversuch für längere Grundschule zu
BREMEN taz ■ Willi Lemke hatte sich verplappert. Im Gespräch mit der FAZ rutschte dem Bremer SPD-Bildungssenator bereits kurz vor der Bürgerschaftswahl etwas heraus, was seine Genossen gar nicht lustig fanden. „Jetzt ist die sechsjährige Grundschule keine hundertprozentige Forderung mehr von mir“, sagte er.
Lemke war wohl damals schon klar, dass eine der Kernforderungen der Bremer SPD in ihrem Wahlkampf zusammen mit den Christdemokraten nicht durchsetzbar sein würde – denn die CDU forderte ein striktes dreigliedriges Schulsystem nach Klasse 4. Nach der Abschaffung der Orientierungsstufe (Klasse 5 und 6), die die große Koalition bereits im letzten Jahr als Reaktion auf Bremens Desaster bei der Pisa-Studie beschlossen hatte, wäre die flächendeckende Einführung sechsjähriger Grundschulen nur in einer Koalition mit den Grünen durchsetzbar gewesen. Jetzt stimmte die SPD in den Koalitionsverhandlungen kleinlaut einem „Kompromiss“ zu, nach dem an maximal 6 von 73 Bremer Grundschulen, bei entsprechender Nachfrage der Eltern, das sechsjährige Modell getestet wird – nicht mehr als ein Trostplästerchen für die waidwunde Genossenseele.
Insgesamt haben sich SPD und CDU in Bremen auf ein Schulsystem verständigt, das an einen Gemischtwarenladen erinnert: Die meisten Kinder gehen nur vier Jahre auf die Grundschule, danach haben Eltern die freie Wahl: Entweder sie schicken ihre Kinder an eine der Integrierten Stadtteilschulen (vulgo: Gesamtschulen), an denen man künftig auch das Abitur machen kann, und zwar nach 13 Schuljahren. Zweitens gibt es künftig durchgängige Gymnasien von Klasse 5 bis 12: eine alte Forderung der CDU, die auch dafür gesorgt hat, dass das Abitur dort bereits nach zwölf Schuljahren abgelegt wird. Und drittens soll es in Bremen weiter so genannte Schulzentren geben – neben auch dort vorhandenen Gymnasialabteilungen findet man hier die Haupt- und Realschule, die bis Klasse 8 eins ist. Erst in den Klassen 9 und 10 werden die Schüler in getrennten Abschlussklassen unterrichtet.
Während CDU-Landeschef Bernd Neumann den Bildungskompromiss der großen Koalition als „Ende der ideologischen bildungspolitischen Grabenkämpfe“ feiert und die über den Tisch gezogene SPD ihm mit zusammengebissenen Zähnen zustimmt, laufen die grüne Opposition und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Sturm gegen die Beschlüsse. Im internationalen Vergleich habe sich die frühe Trennung von Schulkindern nach der vierten Klasse „als Verlierermodell erwiesen“, sagen die Grünen. Und die Erziehungsgewerkschafter bezeichnen das neue System als „hinterwäldlerisch, gerade angesichts des internationalen Trends hin zu integrierten Gesamtschulen“. MARKUS JOX
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