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Archiv-Artikel

Kein Bürgermeister für Europäer

Eine spannende Bremensie nicht bloß für Juristen: Weil hier Kommunalregierung und Landesregierung zusammenfallen, schrumpfen die Mitbestimmungsrechte für EU-Bürger. Die Grüne Abgeordnete Tanja Prinz darf deshalb ihren Bürgermeister nicht mitwählen

Irgendwann ist die Zahl der EU-Wähler so groß, dass die Bremer Verfassung reformiert werden muss

taz ■ Es handelt sich um nicht weniger als einen Konflikt zwischen dem europäischen Maastricht-Vertrag und dem Grundgesetz, und er betrifft ab dieser Regierungsperiode die 23-jährige Grüne Tanja Prinz aus Bremen.

Weil die seit Maastricht auf Kommunalebene wahlberechtigten EU-Bürger überdurchschnittlich oft ihr Kreuzchen bei den Grünen gemacht haben, ist die Studentin in die Stadtbürgerschaft gewählt worden – im Landesparlament ist sie dagegen nicht vertreten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bremer Bürgerschaft sind damit nicht sämtliche Abgeordneten der Stadtbürgerschaft mit denen des Landtags identisch. Identisch aber sind in Bremen die Mitglieder der Kommunal- und der Landesregierung in Form von sieben Senatoren. Und auch der Bürgermeister steckt in der Stadt Bremen bekanntlich im selben Anzug wie der Präsident des Senats. Damit fangen die Probleme an.

Laut dem Vertrag von Maastricht müssen EU-Bürger bei den Kommunalwahlen denen mit deutscher Staatsangehörigkeit gleichgestellt sein. In Bremen aber sind gar keine eigenen Kommunalwahlen vorgesehen, so dass die Stadt nach der Maastricht-Verabredung von 1992 heftig in die Bredouille geriet. Bremerhaven übrigens nicht. In der Seestadt wird seit eh und je eine eigene Kommunalregierung – die Stadtverordnetenversammlung – gewählt, unabhängig von der Landesregierung des Zwei-Städtestaats. An dieser Wahl nehmen EU-Bürger gleichberechtigt teil. Auch andere Stadtstaaten wie Berlin oder Hamburg haben eine schnelle und passable Lösung gefunden: Bei ihnen dürfen EU-Bürger die mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Bezirksparlamente mitwählen, während sie bei der Wahl der Landesparlamente nichts zu melden haben. Bremen hat zwar auch eine Beiräteebene, die aber ist mit so wenigen Rechten und Kompetenzen ausgestattet, dass sie als kommunale Ebene im Sinne der EU nicht taugt. Was also tun?

Bremen hat sich anno 1996 für folgenden Ausweg entschieden: EU-Bürger dürfen sich an den Bremer Landtagswahlen beteiligen – auf andersfarbigen Wahlzetteln. Ihre Stimmen werden erst dazugezählt, wenn es um die Zusammensetzung der Stadtbürgerschaft geht. Denn dort, in der Stadtbürgerschaft, werden die kommunalen Fragen besprochen. Sie tagt einmal im Monat, in der Regel dienstags. Im Anschluss daran befasst sich der Landtag mit den Fragen, die den ganzen Stadtstaat betreffen.

Dabei ist Bremen, so jedenfalls der Grüne Innenpolitiker Matthias Güldner, die einzige Kommune in der großen, weiten EU-Welt, die keine Unterscheidung zwischen Kommunal- und Landesregierung trifft. Sie hat sich diese Einheit vom Staatsgerichtshof als zweckdienlich und vor allem kostengünstig bestätigen lassen. Diese Identität bedeutet aber auch, dass Tanja Prinz als quasi-kommunale Abgeordnete nicht das Recht hat, die kommunale Spitze, den Bürgermeister, mitzuwählen. Denn er ist gleichzeitig die Spitze der Landesregierung und wird vom Landtag gewählt. Den anderen Abgeordneten, die mit Tanja Prinz in der Stadtbürgerschaft sitzen, kann das schnuppe sein. Sie können am nächsten Tag – im Landtag – ihre Hand für – oder gegen – Henning Scherf heben. Tanja Prinz nicht.

Ob dieses Verfahren EU-konform ist, könnte erst die Klage eines in Bremen wohnhaften EU-Bürgers klären. Bislang wurde allerdings keine gestellt. Die Grünen jedenfalls, die Tanja Prinz als „vollwertiges und in allen Belangen stimmberechtigtes Fraktionsmitglied“ aufgenommen haben, denken „intensiv“ über ihren Fall nach, sagt Matthias Güldner. Zumal auch noch andere Probleme ins Haus stehen. Tanja Prinz wird keine Diäten beziehen – denn die sind für Kommunalabgeordnete nicht vorgesehen. „Was wäre, wenn sie Beamte wäre?“, fragt sich Güldner. Sie müsste dann nämlich ihren Job ruhen lassen, weil Exekutive und Legislative streng getrennt werden. Gleichzeitig könnte sie von der Aufwandsentschädigung einer Kommunalabgeordneten nicht leben.

Was-wäre-wenns gibt es übrigens noch viele. Was wäre, wenn die Türkei doch in absehbarer Zeit EU-Land wird und die hier lebenden Türken mitwählen dürften? Ohnehin erhöht sich schon bald die Zahl der Wahlberechtigten aufgrund der Ost-Erweiterung. In diesem Jahr beteiligten sich von den gut 7.000 in Bremen lebenden Unionsbürgern 1.886, das sind mehr als 26 Prozent. 1999 waren es demgegenüber nur 17 Prozent. Irgendwann ist die Zahl der EU-Wähler so groß, dass sie auch das Recht einklagen werden, ihren Bürgermeister und ihre Kommunalregierung mitzuwählen. Dann spätestens müsste wohl die Landesverfassung reformiert werden und Bremen müsste – wie Bremerhaven – eine eigene kommunale Ebene schaffen.

Elke Heyduck