DIE NEUE, ALTE ITALIENISCHE BOTSCHAFT IN BERLIN: EIN FATALES SYMBOL: Marmor, Stein und Berlusconi
Hitler und Mussolini hätten sie gerne eingeweiht, die italienische Botschaft im Tiergarten, aber sie kamen nie dazu. Dabei hatten sie sich bemüht, schnell voranzukommen mit dem „kriegswichtigen“ Bauvorhaben: ein Symbol der Festigkeit der Achse Rom–Berlin sollte es werden, ein Vorzeigeobjekt der Welthauptstadt Germania. Die Reichsbaudirektion übernahm die für damalige Verhältnisse enormen Kosten von 5,8 Millionen Mark. Und stellte Zwangsarbeiter: 1938 mussten 80 Juden bei den Abbrucharbeiten schuften, um Platz für die Baustelle zu schaffen.
Im Januar 1943 waren die Maurer fertig, der Winter von Stalingrad war aber keine gute Zeit zum Feiern. Im Juli wurde Mussolini gestürzt, im September schloss Italien Waffenstillstand mit den Alliierten. In Tiergarten blieben die Vertreter des Marionettenregimes von Salò zurück. Und im November fielen die ersten Bomben auf den Ostflügel. Wohlverdiente Treffer, weil sie einem Ort galten, wo der gemeinsame Beutekrieg mitgeplant worden war.
Was vom Geschenk des Reiches übrig blieb, erbte die italienische Republik. Sie hat es aufwändig aufgeputzt und wird es heute feierlich als neuen alten Botschaftssitz einweihen. Die Präsidenten Ciampi und Rau werden den feierlichen Akt nachholen, der den Diktatoren vorenthalten blieb.
Das Datum wurde mit Bedacht ausgewählt: In wenigen Tagen übernimmt Italien für sechs Monate den Vorsitz im Europäischen Rat. Ciampi, das honorige Gegengewicht zum halbseidenen Medienzaren Berlusconi, wird in Berlin über Europas neue Verfassung sprechen, die im Dezember ausgerechnet in Rom abgesegnet werden soll.
Nur: Die Feier und Ciampis noble Reden werden nicht den starken Regimegestank überdecken können, der zurzeit über Italien liegt. In Mailand drohte Berlusconi eine Gefängnistrafe, weil er, laut Anklage, 1985 die Gunst eines Richterkollegiums erkaufte. Konnte man dieses Risiko eingehen, ausgerechnet während des „semestre italiano“? Nicht um die Person Berlusconi zu retten, um Gottes willen, sondern erklärtermaßen um die „Würde der Institutionen“ zu schützen, wurde ein Immunitätsgesetz verabschiedet, das zum Himmel schreit. Seit dem 22. Juni dürfen keine Prozesse mehr gegen die Inhaber der fünf wichtigsten Staatsämter geführt werden. Zufälligerweise ist der Ministerpräsident einer von ihnen.
Der Staatspräsident hat sich zwar quer gelegt, als Berlusconi Immunität auch für seine Mitangeklagten verlangte (die weiter auf der Anklagebank sitzen). Aber Ciampi hat zügig die Lex Berlusconi unterschrieben, trotz Artikel 3 der italienischen Verfassung: „Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich, ohne Ansehen der Person und ihres sozialen Ranges.“ Mit seiner Unterschrift ist nun der honorige Mann Teil des Problems geworden.
Der Zerfall der demokratischen Standards ist so weit fortgeschritten, dass auch der Umgang mit dem Faschismus und seiner architektonischen Hinterlassenschaft problematisch wird. Die Repubblica durfte gelassen mit Mussolinis Bauten umgehen, solange sie antifaschistisch war. Seit sie sich mit Berlusconi als postfaschistisch ausgibt, ist sie nicht mehr über jeden Verdacht erhaben. Der europäische Bürgerkrieg des 20. Jahrhunderts wurde für beendet erklärt. Und damit ging auch das Gespür für fundamentale Wertunterscheidungen baden. Fini, früher Chef der Neofaschisten, führt heute die Postfaschisten. Das klingt besser, und so konnte er Nummer zwei der Regierung werden. Der Rassist Bossi ist „Minister für Reformen“.
In dieser Zeit konnte es passieren, dass Berlusconis Sprecher den „Provokationen“ der Partisanen die Schuld am Massaker von Marzabotto gibt. Oder dass in der Botschaft am Tiergarten zwei marmorne Liktorenbündel (fasci) im dritten Stock ausgestellt werden sollen. Dort wird das italienische Kulturinstitut einziehen, das inzwischen als „Kulturabteilung der Botschaft“ firmiert (ein Beweis für die Hochschätzung seiner „Selbstständigkeit“). Die Vitrinen, in denen diese Symbole der faschistischen Diktatur museale Patina ansetzen sollen, werden bald fertig werden, wahrscheinlich gleich nach dem Besuch von Ciampi und Rau.
GUIDO AMBROSINO
Der Autor ist Korrespondent der italienischen Tageszeitung il manifesto. Vor der Botschaft wird heute zwischen 11 und 14 Uhr gegen die Lex Berlusconi und die Wiederauferstehung der „fasci“ protestiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen