: shu b‘dy rrr chtty bbb b‘dya
Bremen, Sylt und Hamburg: Literaturfestival „poetry on the road“ präsentiert 20 Dichter aus 15 Ländern. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe steht die globale Vielfalt des lyrischen Ausdrucks
Aus Bremen Robert Best
„Die Meisterschale glääänzt noch, Jaaahre voller Frust …“ Wer vergangenes Wochenende unter poetischen Gesichtspunkten mit Werder-Hymnen zufrieden war, wurde bestens bedient. Für alle anderen fand die Poesie im Saale statt: bei der fünften Auflage des internationalen Literaturfestivals poetry on the road. Es startete in Bremen und geht jetzt auf Reise – durch Norddeutschland
Die Konkurrenz zu Werders Meisterfeier bedeutete in Bremen jedoch nicht mangelndes Zuschauerinteresse an der fragilen Kunst, Worte zu Gedichten zu komponieren. Die Lesungen im Schauspielhaus, dem Theater am Leibnizplatz, 4u-Café, Schauburg-Kino und der Villa Ichon – sie waren alle bestens besucht. Die vier vorhergehenden Festivals hatten schon bewiesen, dass Dichtkunst in Bremen auf offene Ohren trifft.
Doch keines dieser vier hatte so stark den Akzent auf die Laut-Poesie gelegt wie das diesjährige. Die Zunge schnalzte, der Gaumen gurrte, die Gurgel gluckste, dass es nur so eine Freude war: unter anderem bei Paul Dutton aus Kanada, Julien Blaine aus Frankreich, dem Italiener Claudio Pozzani und Jamal D. Rahman aus Indonesien.
Manch eine/r mag im Stillen sich gefragt haben: Weshalb noch mit Aristoteles‘ Poetologie, den Versen Horaz‘, der holden Sonett-Kunst, mit altarabischer Liebesdichtung, warum 200 Jahre nach Goethe noch mit poetischen Schwerenötern sich beschäftigen? Wenn dann einer – wie Paul Dutton – sich hinstellt und „shu b‘dy rrr chtty bbb b‘dya“ mittels Vokaldehnung irgendwie sehr schön auf „b‘dya b‘dyu b‘dyrrrrrr ooooo“ reimt?
Dann setzt Dutton an, was zu sagen, sagt aber nichts, sondern verstummt wieder. Räuspert sich und stammelt die erste Silbe, bis alle verstanden haben: Das wird auch ein Gedicht. Lautlos, bis den ersten Lauten ihre ganze urtümliche Poesie entlockt wird. Der Laut als lyrisches Objekt statt nur als Medium.
Sehr auffallend bei den Festival-Künstlern ist das allgemeine Bestreben, die Laut-Lyrik aus der Ecke des reinen Experiments herauszuholen – und hinein in in ein Umfeld zu verpflanzen, dessen Entpolitisierung sehr weit fortgeschritten ist. So durfte etwa die Schweizerin Ilma Rakusa Befindlichkeitslyrik eingeschüchtertster Sorte fabrizieren: „Die Schatten werden Treppen, versteppen / schon. Und also Tiere, Passagiere?“
Was dort nach Beliebigkeit klingt, wendet die Israelin Agi Mishol ins Aktuell-Politische. Sie nähert sich mit einer Ode einer zwanzigjährigen palästinensischen „woman martyr“, die sechs Menschen mit in den Tod gerissen hatte. Versuche zu verstehen sind erste Schritte, etwas zu ändern.
Geht aber auch andersrum: ändern, um zu verstehen. So erklärte sich der Deutsch-Syrer Adel Karasholi bei seiner Ankunft in Leipzig das widrige Wetter kurzerhand mit einem Gedicht, demzufolge das einst ewig strahlende Blau des sächsischen Himmels sich eines Tages in die Augen eines jungen Mädchens verliebt hat und fortan nur noch in ihnen zu Hause sein wollte. So erklärt sich der hernach stets graue weinende Himmel und – die strahlend blauen Augen der Frauen.
Gelobt sei die Idee der Organisatorinnen, alle fremdsprachigen Gedichte sowohl übersetzt als auch im Original vortragen zu lassen. Wer kenntnisfrei arabischer oder hebräischer Lyrik lauscht, versteht: Sprache ist Poesie. Robert Best
poetry on the road: heute, 20.30 Uhr, mit Bastian Böttcher, Serge Van Duijnhoven, Paul Dutton im Kunst:Raum Sylt; 21.5., 20 Uhr, Schwankhalle Bremen: Poesie-Performance mit Brigitte Oleschinski. Auch am 27.5., 20.30 Uhr, im Kunst:Raum Sylt und 1.6., 20.30 Uhr, Fliegende Bauten, Hamburg
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