Vom Käfig in den Chatroom

Ein findiger Geschäftsmann hat in Bagdad das erste Internetcafé nach dem Krieg eröffnet. Nach Jahren der medialen Totalabschottung suchen dort die ersten Iraker den Anschluss an die Welt

aus Bagdad INGA ROGG

In jedem anderen Land wäre Ibrahim al-Samarra’i vermutlich längst ein gemachter Mann. Nicht so im Irak, wo Wagemut und Eigeninitiative als Staatsrisiko galten. Doch mit dem Regime sind auch die engen Grenzen für Geschäftsleute wie al-Samarra’i gefallen. Ausgestattet mit Improvisationsgabe, einem Vertrag mit Eutelsat, einer Satellitenantenne aus dem zerstörten Informationsministerium, Server und einigen Computern hat er Ende Mai das erste Internetcafé in Bagdad eröffnet. Inzwischen besitzt er drei, für sechzehn weitere hat er die Verträge bereits in der Tasche. Und das in einer Stadt, in der es noch immer nur stundenweise am Tag Strom gibt und man von einem Stadtteil zum anderen nur über Satellitentelefon kommunizieren kann. Das Wissen dafür hat er sich noch zu Regimezeiten angeeignet, als man ihm als Erstem kurz vor Kriegsausbruch erlaubte, ein privates Internetcafé zu betreiben.

Zwölf Plätze bietet das schmucke kleine „Café“ in der Nähe der Technischen Universität im Süden der Stadt. Neben Geschäftsleuten und Ausländern sind es vor allem Studenten, die von dem Angebot Gebrauch machen. Für die meisten ist das Serven im World Wide Web eine völlig neue Erfahrung. Denn bisher war die Internetnutzung nur einem kleinen Kreis von Privilegierten erlaubt. Gerade mal 25.000 private Internetanschlüsse hatte das Land – und die wurden streng überwacht. „Ständig hieß es: ‚Zugang verweigert‘“, sagt Raiya Halabiya. „Doch jetzt können wir jede beliebige Site anklicken und chatten, mit wem wir wollen“, freut sie sich. Wer bisher in diesen Genuss kommen wollte, musste nach Kurdistan fahren, wo die freie Internetnutzung seit Jahren selbstverständlich ist.

Die hübsche Christin ist eine von zwölf Angestellten, die den Laden im Schichtbetrieb von morgens neun bis abends sieben Uhr am Laufen halten: „Wir haben wie in einem Käfig gelebt“, sagt die 30-Jährige. „Kaum jemand weiß, wie man an eine E-Mail-Adresse gelangt, sich in Chatrooms einklinkt oder nach bestimmten Sites sucht.“ Nach Jahren der Abschottung ist der Durst nach Kontakten zur Außenwelt groß. Etwa hundert Kunden nutzen das Angebot täglich, und das trotz einem Preis von rund 2,50 Dollar pro Stunde. Das ist selbst für die Angestellten von Samarra’i horrend, deren Spitzenverdienst bei 200 Dollar im Monat liegt.

Geht es nach Samarra’i, könnte er schon bald einem blühenden Wirtschaftsunternehmen vorstehen. An Ideen zumindest mangelt es ihm nicht. Seit zehn Jahren hat er einen Computervertrieb, inzwischen sind eine Werbeagentur und Geschäfte für Druckereibedarf sowie Sicherungsanlagen dazugekommen. Für die Produkte der japanischen Firmen Cannon hat er kürzlich die Generalvertretung erhalten. „Ich könnte sofort hundert Ingenieure beschäftigen“, sagt der 42-Jährige. Doch ihm fehle schlicht das Kapital, ohne Kooperation mit ausländischen Firmen komme er nicht weiter. Vor allem von europäischen und deutschen Firmen erhoffe er sich Investitionen, denn diese seien mit dem irakischen Markt weit besser vertraut als die Amerikaner. Solange es im Irak aber keine gesicherten Rahmenbedingungen für privates Kapital gibt, ist es schwierig, ausländische Investoren zu finden, das weiß auch Samarra’i.

Doch Bedenken mag der Computerspezialist, der sich in Jeans und Sporthemd betont lässig kleidet, nicht gelten lassen: „Korruption gibt es auch in Europa.“ Die Europäer sollen kommen, dann würden sie sehen, welche Goldgrube der Irak ist. Seine Sorge ist vor allem, dass die Europäer und Amerikaner das irakische Know-how unterschätzen. „Wir haben hier gute Leute, fähige Ingenieure und Techniker“, sagt er selbstbewusst. Die brauche man nicht für teures Geld ins Land zu bringen. Die Hauptsache sei das menschliche Kapital, und davon habe das Zweistromland mehr als genug. „Für 300 Dollar kriegen Sie hier einen gut ausgebildeten Spezialisten“, fährt er fort, ganz der Geschäftsmann, der eine heiße Ware anzubieten hat. „So billig wie hier richtet Ihnen nirgendwo jemand einen Internetplatz ein.“