In wünschenswerter Offenheit

Bilder allein erzeugen keine gültige Bestandsaufnahme der Welt, sondern erst der Kontext, in den sie gestellt werden: Die Wiener Generali Foundation widmet mit „Performance under Working Conditions“ dem politisch motivierten und konzeptuell agierenden Fotografen Allan Sekula eine Retrospektive

von MANFRED HERMES

Manchmal muss daran erinnert werden, dass eine Linke in den USA nicht nur aus Michael Moore besteht. Das geschieht in der Allan-Sekula-Retrospektive der Wiener Generali Foundation mit Arbeiten von 1970 bis in die Gegenwart. Anfang der Siebzigerjahre hatte Sekula beschlossen, das Projekt „Skulptur“ aufzugeben und sich der „Wiedereinführung der sozialen Dimension“ zu widmen. Dieses Wieder brachte ein weiteres mit sich: Die Wiederentdeckung linker Positionen vor dem 2. Weltkrieg – und die der Fotos von Lewis Hine oder Dorothea Lange, die vom Antikommunismus der Fünfziger nachhaltig verdrängt worden waren. Das Pittoreske der frühen Sozialdokumentaristen konnte Sekula allerdings nur noch grobe Orientierungen bieten. Eine neue Form musste sich auch von Einflüssen wie Semiologie, Poststrukturalismus und Marxismus durchkreuzbar zeigen und den Standpunkt des Kompilators transparent machen können.

Sekula dokumentierte zunächst eigene Aktionen: mal Reisen per Güterwaggon, mal geklaute Steaks konsumkritisch auf die Autobahn werfen. Auch die folgenden Fotoserien gehen von eigenen konkreten Erfahrungen aus. Ein Restaurantjob führt zur Deregulierungskritik von „Das ist nicht China: Ein Fotoroman“ (1974), die Arbeit als Kunstschuldozent zu „Die Schule ist eine Fabrik“ (1978/80). Um dem Piktoralismus der frühen Sozialfotografie zu entgehen, wendet Sekula verschiedene Sequenzierungsverfahren. Kurze, filmischen Perioden zeigen in „Diaserie Ohne Titel“ (1972) das Werk verlassende Arbeiter, in „Porträts von VerkäuferInnen“ (1973) ist es eine August-Sander-hafte Frontalität.

Seit „Geschichten aus der Luftfahrt“ (1973) setzt Allan Sekula außerdem Texte ein, die aus verschiedenen Ebenen zusammengesetzt sind. Beschreibungen, Kritiken und Kommentare werden zu einer vielschichtigen Erzählung, die eine Radikalisierung gleichsam als rhizomatisches Geflecht vollzieht. Dieses Prinzip baut er in „Die Schule ist eine Fabrik“ (1978/80) aus. Eine Ausbildung wird ja auch heute wieder etwas eindimensional als Voraussetzung für die Überwindung sozialer Grenzen, Wohlstand und Ansehen betrachtet. Dass die Produktionsbedingungen einer Gesellschaft auch ihre Schulen durchdringen, kommt kaum mehr zur Sprache. In „Schule“ hält es Sekula genau mit dieser Rückseite – Schule als freudloses Zwischenlager und Althusser’sches Staatstheater, das im Bühnenbild strahlender Aussichten Zurichtungen am Fließband aufführt.

In den Produktivitätsfortschritten sind die Ränder dabei immer schon eingeplant, denn auch Spezialisten können jederzeit überflüssig werden. In „Geschichten aus der Luftfahrt“ richtet Sekula den Blick auf die eigene Familie. Nach der Post-Vietnam-Rezession der Rüstungsindustrie wurde sein Vater arbeitslos. Der Mann, dessen Aufstiegswünsche sich in einem gewissen Rahmen erfüllt hatten, hielt nun aber auch in der Arbeitslosigkeit unbeirrt an seinen kleinbürgerlich-neoliberalen Denkmustern fest, und sei es in Form von Schuldgefühlen.

Obwohl Sekula in dieser Arbeit auch seine eigene Biografie in wünschenswerter Offenheit mitbeschrieben hatte, richteten sich seine Sympathien eher auf soziale Schichten, in denen der Blick auf die eigene Situation von einer größeren Klarheit geprägt ist und ein politisches Handeln als irgendwie doch machbar erscheint. In „Schnellstraße nach China“ (1998/99) variiert er das für ihn inzwischen so zentrale maritime Motiv und belegt die Umwälzungen der Hafenwirtschaft, die der Einführung von Containern und Fabrikschiffen folgten, und den Widerstand der Belegschaften dagegen.

Beschreibungen wie diese legen nahe, hier sei vor allem die gut gemeinte Dokumentation von Unrecht am Werk und nicht etwa ein sehr komplexes Verfahren. „Krieg ohne Körper“ (1991/96) spielt im Titel auf die Fiktion einer distanzierten, körperschonenden Kriegsführung an, die seit dem 91er-Irakkrieg lanciert wurde. Die Fotos liefern entgegengesetzte Bilder: Die Besucher einer Militärschau stecken ihre Zeigefinger in die Austrittslöcher eines mehrläufigen Maschinengewehrs. Texte erweitern das Szenario zu einer Erzählung über Kanonengeschichten, Kriegsvorwände und die Herstellung gegenrevolutionärer Lesarten von Geschichte. 1989 explodierte der Gefechtsturm des Schlachtschiffs „Iowa“. Der Vorfall ging aufs Konto einer altersschwachen Anlage, wurde der Öffentlichkeit aber als homosexueller Racheakt verkauft: Einen „Panzerkreuzer Potemkin“ kann es in den USA nur als homophoben „Schundroman“ geben.

Allan Sekula brauchte sich im letzten Jahrzehnt über mangelnde Beachtung nicht zu beklagen. Jetzt wird hingegen gern wieder auf die Beschränktheiten faktografischer Verfahren hingewiesen. Wenn aber mit dem Bad der tatsächlich oft zum Politkitsch neigenden Praxen auch eine Arbeit wie die von Sekula ausgeschüttet würde, wäre das sehr bedauerlich.

Bis 17. August, „ Allan Sekula –Performance under WorkingConditions“, Generali Foundation,Wien, Katalog (Hatje Cantz) 49,80 €