Die Pastellfarben des Proletariats

Die Wien-Film-Studios arbeiteten nach Kriegsende unter sowjetischem Protektorat. Bis 1955 entstand hier aufregendes Kino. Manchmal bestritt auch eine Arbeitersynchronschwimmgruppe einen ganzen Revuefilm – mit bösem Ende für den Firmenchef

Die Wien-Filmwar plötzlichdie aufregendste Filmproduktion

VON OLAF MÖLLER

Die Arbeit der Wien-Film-Studios am Rosenhügel ist ein fast vergessener Produktionszusammenhang des deutschsprachigen Nachkriegskinos. Zwischen 1945 und 1955, in den Jahren der alliierten Okkupation, standen diese Studios unter sowjetischem Protektorat, und die Filme kündeten sichtbar von diesem Einfluss. Ein hybrides Kino entstand, zwischen Neorealismus, Studiorealismus und sozialistischem Realismus, mit streikenden Revuetänzern und einem volkstümlichen Mozart, ein Kino, das sich in zwei, drei Meisterwerken zu einer Vision von einem anderen populären Kino verdichtete. Ein „österreichisches Athen“ pries es einmal der KPÖ-Abgeordnete Ernst Fischer überschwänglich – oder einfach: ein anderer Weg, den man nach 1955 nicht weiterging.

Durch die Okkupation und die Aufteilung Österreichs im Allgemeinen wie Wiens im Besonderen wurde der Gesamtkomplex Wien-Film über alle Einflusssphären verstreut: Das Hauptbüro und die Studios in Sievering kamen unter US-amerikanisches, die Studios in Schönbrunn unter britisches, das Filmlager und das Archiv unter französisches und die Rosenhügel-Studios unter sowjetisches Protektorat. Die Studios funktionierten bis 1955 als jeweils eigenständige Produktionseinheiten, und auch die einzelnen Besatzungszonen waren verleihtechnisch getrennt: Die Rosenhügel-Produktionen wurden nur in der sowjetischen Zone gezeigt. In den anderen dreien wurden sie, vorsichtig gesagt, gemieden.

Die Rosenhügel-Studios brauchten fast fünf Jahre, bis sie die erste von insgesamt 16 Spielfilmproduktionen aufs Gleis gestellt bekamen: Zwischen 1946, (dem Zeitpunkt der offiziellen sowjetischen Übernahme) und 1949 entstand als Eigenproduktion allein die „Wochenschau“. Deren künstlerische Oberleitung hatte Hugo Hermann inne, der später in die DDR ging, wo er einige kleine Meisterwerke realisierte und zu einer Art Mentor von Jürgen Böttcher wurde, bis er, enttäuscht von der Entwicklung in der DDR, weiterzog und in der Volksrepublik China Wochenschauen und Werbefilme für Intourist drehte. Die in jenen ersten Jahren in den Studios realisierten Werke – darunter der erste österreichische Nachkriegsspielfilm, Eduard Höschs „Der weite Weg“ (1946) – waren Fremdproduktionen, die sich dort Studiokapazitäten kauften.

Der erste Rosenhügel-eigene Spielfilm, Georg Jacobys „Das Kind der Donau“ mit Regisseursgattin und Stalin-Liebling Marika Rökk, feierte am 4. August 1950 seine Weltpremiere, und dies im Ostberliner „Babylon“: Da sollten wohl zonenübergreifende Signale gesetzt werden. Unter anderem kam man den Westdeutschen bei der Präsentation des ersten Nachkriegsfarbfilms zuvor: Hans Deppes „Schwarzwaldmädel“ lief rund einen Monat später als „Das Kind der Donau“. Jacobys Film war finanziell recht einträglich, wurde aber von der Kritik weitgehend verachtet. Dennoch wurde er zum Muster für die folgenden fünf Rosenhügel-Produktionen: Formal folgte man ungebrochen den bewährten Revuefilm-Prinzipien – Jacobys „Frühling auf dem Eis“ (1951) war dann auch ein unverhohlenes Remake von Geza von Cziffras „Der weiße Traum“ (1943), einem der Paradebeispiele für das Unterhaltungskino der NS-Ära. Inhaltlich hingegen spielte man mit so gefährlichen Sachen wie Solidarität und Streiks herum. Die Filme waren zum Teil sogar in Fabriken angesiedelt – schizophren ist das Mindeste, was man dazu sagen kann.

Allem Sozialismus-Getue zum Trotz zog bürgerliche Betulichkeit durch die Filme, etwa in Eduard von Borsodys „Verlorene Melodie“ (1952), in dem es unter anderem eine reaktionäre Traumsequenz über das Übel der Popmusik zu bestaunen gibt. Das zentrale Problem dieser ersten Phase bringt symbolisch Rudolf Steinböcks „Abenteuer im Schloss“ (1952) auf den Punkt: Zu sehen ist eine sukzessive Versteinerung, von der Natürlichkeit und Frische der frühen Szenen hin zum gletschernen Revue-Finale, an dessen Ende die Protagonisten sogar noch vor einen Theatervorhang treten und sich von dem Publikum im Kino verabschieden.

Eine veritable Perle schuf man jedoch auch in dieser Periode, und es ist natürlich die production maudite des Studios, denn unter solchen Umständen findet sich die Wahrheit allein im Exzess: „Seesterne“ (1952) von Johannes Alexander Hübler-Kahla sprengte lässig alle Produktionsvorgaben, das Budget und den Drehplan. So entstand ein Revuefilm, dessen Geschichte propagandistisch zugespitzt ist: Ein Arbeitersynchronschwimmclub zeigt dem fiesen Firmenchef, was die Solidarität des Proletariats auf die Beine stellen kann. Ästhetisch erging sich „Seesterne“ in einem pastellfarbenen Pop-Pastiche. Hübler-Kahlas Film war ein Fiasko bei Presse und Publikum; erst heute lässt er sich im kontemporären Popdiskurs wirklich würdigen.

Als im Jahr 1953 die Firmenleitung wechselte, änderte sich der Kurs des Studios radikal: Generaldirektor wurde Andrei Andreijewski, der ehemalige Produktionsleiter Sergei Eisensteins. Chefdramaturgin war nun die Linksintellektuelle Ruth von Mayenburg, und mit den Revuefilmen war Schluss. Die Musikspektakel basierten nun auf Opern (Walter Kolm-Veltees „Don Juan“ aus dem Jahr 1955) oder Operetten (Georg Wildhagens „Eine Nacht in Venedig“ aus dem Jahr 1953).

Außerdem kamen ausländische Größen an den Rosenhügel: Aus der DDR Walter Felsenstein, dessen „Fidelio“ (1955) ein verkannter Höhepunkt des Opernfilms ist: schwarz-weiß, karg und zugleich expressiv, vornehmlich aus Außenaufnahmen bestehend, spitzte sich der Film auf einen Tyrannensturz zu. Aus Italien kam der KP-Neorealist Aldo Vergano, dessen „Schicksal am Lenkrad“ (1954) zur einzigen realistischen Arbeit des roten Rosenhügels wurde; aus Frankreich der ebenfalls der KP angehörende Louis Daquin, dessen „Bel Ami“ (1955) Klarheiten über kapitalistische Abhängigkeiten schaffte, unter anderem, indem er Johannes Heesters dekonstruierte. Schließlich kam aus Brasilien Alberto Cavalcanti, der Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ 1955 vom Kopf auf die Füße stellte. Brechts Konzeption des Volksstücks auf der einen und das populäre Kino von Lustspiel bis Slapstick auf der anderen Seite vermischten sich hier so, dass eine heute erstaunlich moderne, ganz eigene hybride Form herauskam.

Dem linkspopulären Darsteller Karl Paryla wurden zwei Regiearbeiten ermöglicht. In „Der Komödiant von Wien“ (1954) setzte er sich selbst ein kleines Denkmal, indem er sich der Biografie des Jahrhundertwende-Volksschauspielers Alexander Girardi annahm; „Gasparone“ (1955) wurde zu einem Gegenentwurf zu früheren Kinoadaptionen der Operette.

Die Produktion wurde zwar heterogener, blieb aber aufgrund der Sujets programmatisch gut klassifizierbar. Regiepersönlichkeiten drückten nun den Filmen ihre Stempel auf, Form und Gehalt fanden zu singulären Synthesen. Der bürgerliche Mief war fast verflogen – die Wien-Film am Rosenhügel war plötzlich die aufregendste Filmproduktion Österreichs.

Was mit dem Staatsvertrag ein hartes Ende fand. Symbolisch steht dafür der Präsentationsboykott von „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ (Brechts Hass auf diesen Film tat ein Übriges: Der Film lag jahrelang auf Eis). Man wollte mit den Roten nichts mehr zu tun haben. Die ausländischen Regisseure zogen weiter, Paryla kam eine Zeit lang bei der Defa unter. Die, die blieben, machten weiter nach Plan, nun nach den Vorgaben der neuen kapitalistischen Freiheit.