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In Augsburg ist es nachts dunkler als anderswo

Bayerische Stadt dreht neue Lampen in Laternen und rettet so Insekten das Leben. Die Menschen schlafen besser

BERLIN taz ■ Manchen kann es nachts nicht hell genug sein. Doch für nachtaktive Insekten entpuppt sich das grelle Licht der Straßenlaternen und Leuchtreklamen als Todesfalle: Millionen von Motten und Faltern sterben pro Jahr, fehlen dann in der Nahrungskette. Die neonerleuchtete Nacht belastet ebenso den Menschen, zeigen neuere Studien. Weil Schlafstörungen und höheres Herzinfarktrisiko die Folge sein können, handeln jetzt die Städte.

Die so genannte „Lichtverschmutzung“ beginnt bei akuter Blendung und mündet dann in schleichenden Veränderungen biologischer Abläufe. Zudem sind die herkömmliche Laternen aus ökonomischer Sicht überhaupt nicht effektiv: „Strahlen sie in alle Richtungen ab, hat man 80 Prozent Verlust“, weiß Professor Hans-Ulrich Keller vom Carl-Zeiss-Planetarium in Stuttgart.

Er beschäftigt sich seit Jahren mit der auch „Lichtsmog“ und „Lichtimmission“ genannten Überbeleuchtung. Und sammelt Argumente für den lichternen Umweltschutz. Die Erfolge, die Keller vermeldet, beziehen sich derzeit aber vor allem aufs Ausland. So ist Tschechien weltweiter Vorreiter: Die kleine Republik hat die strengsten Vorschriften bezüglich öffentlicher Lichter.

Auch die Schweiz liegt vorn, weil ihre Bundesbahn (SBB) sämtliche Regionalbahnhöfe mit schmal nach unten strahlenden Lampen ausstattet, die die Falter nicht von allen Seiten anziehen. Sie wurden an der Technischen Universität Berlin entwickelt und schützen nicht nur Mücken vor dem Flatter- und Verbrennungstod: 113.000 Schweizer Franken sparte die SBB im letzten Jahr an Betriebskosten.

Lichtpionier in Deutschland ist Augsburg. Sandór Isépy, Ingenieur aus Budapest und beim Tiefbauamt der bayerischen Stadt für die Illumination zuständig, rüstet die 600 Kilometer beleuchteten Augsburger Strecken peu à peu auf umweltschondendes Licht um: „Wir sparen gut 20 Prozent an Strom.“

Er tauscht die weißen Quecksilberbirnen durch gelbe Natriumdampf-Hochdrucklampen aus. Insekten fliegen darauf viel weniger als auf weißes Licht. Kleine Spiegel in speziellen Fassungen lassen das Augsburger Laternenlicht zudem gen Boden gehen und nicht seitlich versickern. Mit abgestuften Lichtstärken, einem Dimmer, erzielt Isépy zusätzliche Schonung.

Was die Insekten weniger kirre macht, belastet auch den Menschen nicht so stark. Besonders freuen sich aber die Astronomen, die das gelbe Licht besser ausfiltern können, wollen sie die Sterne nachts klarer sehen.

Allerdings: Architekten mit Lust auf künstliche Lichtfluten sind starke Gegner der Lichtumrüstung. Ebenso jene Wirtschaftsbereiche, die an „ausgeprägtem Lichthunger“ leiden. Handel und Werbung gehören dazu. Ihnen dient Licht als optischer Reiz: je mehr Licht, desto mehr Aufmerksamkeit, desto mehr Verkauf. Auch private Stromkonzerne haben kaum Interesse daran, den Verbrauch an Energie einzudämmen. Wunderlich daher, dass Städte und Kommunen im Sparzwang ausgerechnet ihr Licht oft übersehen. Aber: Zu viel Licht macht eben blind. GISELA SONNENBURG

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