: Des Menschen bester Freund
Ein T-Shirt ist ein T-Shirt ist ein T-Shirt. Falsch! Ein T-Shirt ist ein Statement, ist Kritik, ist eine kleine Bühne zur Selbstdarstellung. Und: Ein T-Shirt ist ein sehr praktisches Kleidungsstück
von SUSANNE KLINGNER
Ein buntes Jungpionier-T-Shirt war das erste T-Shirt, an das ich mich wirklich erinnern kann. Als ich es trug, war ich schon fast zehn Jahre alt, es muss so um 1987 gewesen sein, und das Oberteil hieß nicht T-Shirt, sondern Nicki, auch wenn es aus Jersey und nicht aus Nicki war. Ende der Achtziger gab es plötzlich diese Alternative zum Pionierhemd. Es gab sie in mehreren Farben, und auf allen war das Pionier-Symbol, das J und das P mit der Flamme über ihren Köpfen, auf der linken Brust abgebildet. Kurze Zeit später kam die Wende. Die Pionier-Shirts flogen in den Müll oder sonstwohin, ich hab sie nie wieder gesehen. Dabei hätte ich jetzt sehr gern noch eins von ihnen. Als Erinnerung.
Eine Zeit lang spielten dann T-Shirts keine Rolle. Ich besaß vielleicht vier oder fünf, auf zweien stand „Depeche Mode“. Sie lagen allerdings im Schrank, ich zog sie nicht an. Blusen, Hemden – alles war cooler und hübscher als labberige T-Shirts. Doch Ende der Neunziger wuchsen plötzlich die T-Shirt-Berge im Schrank, während die Leiberl von XXL auf XS schrumpften. T-Shirts waren nicht länger nur das, was man anzog, wenn der Geschmack zu mehr nicht reichte. Das T-Shirt erreichte den Ort, wo Mode gemacht wird: die Haute Couture. Inzwischen entwarfen sogar die eher konservativen Designer T-Shirts und Slogans für eben diese. Und schneller, als Rocksäume kürzer oder länger werden, änderten sich die Aufschriften auf den T-Shirts. Sie scheinen einer Periodik zu folgen, die nicht leicht zu durchschauen ist, denn warum bitte liefen eines schönen Tages plötzlich viele viele Mädchen mit fünf gruseligen Buchstaben, nämlich Z, I, C, K, E, über dem Busen durch die Stadt? Auf dem allerersten T-Shirt war das vielleicht noch selbstironisch, imagekritisch, lustig oder sonstwas. Schon beim zweiten nichts mehr von alledem.
Jahrelang galt als stillos, wer das T-Shirt dem Hemd vorzog. Auf der Straße wurde trotzdem mehr Maschenware als Gewebtes getragen. Der Blick auf die Straßenkleidung ließ die Modedesigner erkennen: Ein Hemd ist etwas Fertiges, es ist an und für sich schon Mode. Ein T-Shirt dagegen ist die große Leinwand, auf der jeder seine Vorlieben und Abneigungen, irgendwelchen Nonsens oder gar persönliche Wesenszüge kundtun kann: „Tussi“, „Ansprechpartner“, „Stadtkind“.
Abgesehen vom proletarischen T-Shirt-Witzbold (Aufdruck: „Ich bin dick, du bist hässlich. Ich kann wenigstens abnehmen!“), über den hier kein Wort verloren sei, lassen sich sich vier Grundtypen von T-Shirt-Trägern ausmachen.
Der Purist bleibt dabei: ein T-Shirt ist nicht der Ausdruck von irgendwelchen persönlichen Vorlieben, er will einfach nicht nackt auf die Straße. Das weiße, graue oder schwarze T-Shirt kommt da genau richtig – kein Schwitzen, schön bequem und ohne jeden unnützen Firlefanz. Nur ein sauberes weißes T-Shirt ist Ausdruck von wahrem Geschmack. Immerhin steht der Purist damit in der Tradition von James Dean. Der nobilitierte in den 50er Jahren das weiße T-Shirt von der Unterwäsche zur Oberbekleidung. Jeans und ein weißes T-Shirt sagten damals den kleingeblümten Müttern und graubeanzugten Vätern: „Schaut her! Ich rebelliere gegen euch.“ Die Rebellion bestand zum einen darin, obenauf zu tragen, was bis dato Unterwäsche war. Zum anderen war man sich bewusst, einen Teil der Armee-Uniform zu tragen. Auf hoher See trugen Marines nichts weiter als Unterhosen und T-Shirt. Ob der Purist allerdings heute noch diese rebellische Kraft in sich spürt, wenn er sein weißes „Fruit of the Loom“- Shirt anzieht, ist zu bezweifeln.
Der Selbermacher ist derjenige, der den Puristen am meisten verachtet. Für ihn ist ein weißes T-Shirt ungenutzter Platz zur Selbstdarstellung, Verschwendung. Der Selbermacher kauft T-Shirts nicht, weil ihm Schnitt oder Farbe gefallen, sondern weil er schon ganz genau vor sich sieht, was er mit dem Shirt anstellen wird. Oder er ist ein Plagiator wie meine Freundin B., die eines Tages schimpfte: „Unglaublich! Da gibt es dieses T-Shirt von Calvin Klein, mit einer aufgestickten Blume. Aber achtzig Euro? Das geht zu weit!“ Ich sollte ihr gefälligst zeigen, wie Sticken funktioniert. Während der mühseligen Handarbeit blieb sie dabei: „Unverschämtheit! Achtzig Euro!“ Und schon hatte das T-Shirt seine eigene Geschichte.
Wer als Modedesigner gute Ideen für T-Shirts hat, kann damit viel Geld verdienen, vielleicht sogar mehr als mit Anzügen, Blusen und Röcken. Die Designer „Mägde und Knechte“ aus Hamburg beispielsweise schreiben und malen auf ihre Shirts alle Wörter und Bilder, die ihnen gerade so in den Sinn kommen oder von den Kunden herbeigetragen werden. Das Geschäft läuft so gut, dass es bereits eine Filiale in Berlin gibt. Auch Studenten, die sich sonst ihre Klamotten billig bei H&M kaufen, legen 35 bis 45 Euro für ein T-Shirt auf den Ladentisch. „Mägde und Knechte“ können so viel Geld verlangen, weil ihre T-Shirts nicht nur auf Wunsch Einzelstücke, sondern auch noch per Hand oder Schablone bemalt sind und so den einfachen Einkäufer als Selbermacher dastehen lassen.
Dem Markenfetischisten würde nicht im Traum einfallen, mit einem T-Shirt rumzulaufen, bei dem einer fragen könnte: „Ey, selber gemacht?“ Nichts wäre peinlicher als diese Frage. Natürlich nicht! Hat viel Geld gekostet! Sieht man doch. Auch hier an diesem Label! Ein Markenfetischist will nichts auf seiner Brust lesen außer den Schriftzug seiner Identitätsfirma. Wenn er das Image eines Labels – sagen wir: jung, dynamisch, erfolgreich, sexy – auf seiner Brust trägt, ist er selbst jung, dynamisch, erfolgreich, sexy. Glaubt er zumindest. Vor allem bei Sportklamotten ist es wahnsinnig wichtig, ob „Stussy“, „Adidas“ oder „FuBu“ darauf zu lesen ist. Auch wenn der Selbermacher auf den ersten Blick selbstdarstellerischer scheinen mag in der Art, wie er ein schlichtes Bekleidungsstück nutzt, der Markenfetischist ist abhängiger vom Image seines Shirts.
Noch lauter als Marken-T-Shirts und solche, die bemalt, bedruckt und bestickt sind, sind nur solche, auf denen Politik gemacht wird. Die T-Shirt-Politiker erlebten während des Irakkrieges eine unfassbare Wichtigkeit. Sie wurden zu Vorbildern, deren T-Shirt-Slogans und -Aufdrucke massenweise kopiert wurden. Das mit Politparolen bedruckte T-Shirt ist heute so etwas wie ein Symbol für Demonstrationskultur.
Dabei hat es seine Wurzeln auf der anderen Seite, in der Politik. Es war der republikanische Präsidentschaftskandidat Thomas E. Dewey, der 1948 als Erster einen Slogan auf die T-Shirts seiner Wahlhelfer drucken ließ: „Dew it with Dewey“. Statt dem kryptischen „dew it“ (wörtlich: mach’s feucht) hätte es wohl besser „do it“ heißen sollen, denn Dewey unterlag Amtsinhaber Harry Truman. Dessen Demokratische Partei zog bei den nächsten Wahlen allerdings nach, und das T-Shirt genoss fortan in Wahlkampfzeiten höchste Wichtigkeit. Denn seine Botschaft wurde per Fernsehkamera direkt in die Wohnzimmer verbreitet. Bis in den Siebzigerjahren der Ansteck-Button politische Mode wurde, war das T-Shirt das beliebteste Wahlkampfutensil.
Und auch während der Demonstrationen gegen den Irakkrieg wurde mit Baumwolle gekämpft. Und viel Geld verdient: Friedenstauben, „Fuck Bush“- Parolen und Peace-Zeichen wurden, als noch keiner wirklich mit einem Krieg rechnete, per Hand auf die ersten T-Shirts gemalt. Aber innerhalb weniger Wochen, ja Tagen, waren Online-Anbieter startklar und boten entsprechende T- Shirts für gutes Geld an. Sie waren schneller verkauft als nachproduziert werden konnte. Merkwürdig: Menschen, die gegen US-Imperialismus auf die Straße gingen, gaben sich dem Konsum hin, als dessen Ursprungsland gern die USA herhalten müssen.
Wäre es nicht einfacher, schneller und billiger gewesen, in den nächsten Wertheim zu eilen, ein billiges T-Shirt zu kaufen und es gemeinsam zu bemalen? Gewiss wäre das gegangen – aber das gekaufte T-Shirt ist normiert und normiert damit auch die Werte, für die die Demonstranten eintreten. Sie werden so zur Gruppe und sind nicht länger Einzelne, die für den Frieden auf die Straße gehen. Und das T-Shirt soll für die Ewigkeit sein. Es soll nicht, mit Plakafarbe bemalt, nach dem Krieg verschmiert und verwaschen in den Müll fliegen, sondern Jahre später noch an das gemeinsam Erlebte erinnern.
Als wir noch Kinder waren und aus unseren T-Shirts herauswuchsen, fanden wir ab und zu eines von ihnen als Putzlappen wieder. Dann konnten wir uns nur noch bei Mama beschweren. Brandlöcher, zerrissene Nähte oder Flecken stören uns nicht. Sie sind kein Grund für den Frevel, ein T- Shirt wegzuschmeißen. Im Gegenteil: Sie verstärken die Erinnerung an die Zeit, die uns das T-Shirt begleitete, und machen es nur noch wertvoller. Es wandert erst in den Restmüll, wenn wir uns nicht mehr mit der Aussage des Aufdrucks identifizieren können oder der Witzigkeit seines Schriftzugs überdrüssig sind. Vorher bleibt es die kleine Bühne.
SUSANNE KLINGNER ist 25 und hat so um die dreißig T-Shirts im Schrank. Das schönste, sagt sie, ist hellblau und trägt den Original-Schriftzug von Barbie in pink glitzernden Buchstaben