Parolen tröten, Argumente rasseln

Gestern demonstrierten über 2.000 Eltern, Kinder und Beschäftigte der Kindertagesheime (KTH) auf dem Marktplatz gegen Kürzungen der Sozialbehörde. Rückstufungen der integrativen Fördermaßnahmen seien gerechtfertigt, so das Gesundheitsamt

Bremen taz ■ Demo-Kakophonie, die übliche. Moralisch wertvolle Sentenzen wie „Chancengleichheit statt Ausgrenzung“ wehen vorüber. „Jetzt reicht es“, ist auf Schönschriftplakaten zu lesen. Nach Veranstalterangaben tummelten sich gestern Vormittag 3.000, nach Polizeiangaben 2.000 Menschen auf dem Marktplatz, um gegen „Kürzungspolitik“ in den Kindertagesheimen (KTH) zu demonstrieren. Sogar der arme Space Park musste als Bösewicht herhalten, da sein Euro-Hunger die Gelder „für die Kinder und ihre Eltern“ fresse.

Fahnen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) flattern im Wind. Gerasselt, getrillert, gepfiffen wird immer dann, wenn die Rhetorik wieder Schaum schlägt und jemand beispielsweise Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) als „Lügnerin“ bezeichnet. Während Kinder von den Eltern Trost dafür einfordern, den Vormittag ohne Spielgeräte verbringen zu müssen, freuen sich die umliegenden Eis- und Getränkehändler über die Umsatzsteigerung. Die Belegschaftsvertreter der KTHs bedanken sich für das Medieninteresse mit einer Pressekonferenz.

Zum Hauptthema erklärt Christian Gloede-Noweck, GEW-Vertreter der evangelischen KTHs, die befürchtete Streichung von fünf Millionen Euro gleich 100 Stellen gleich 30 Prozent der Mittel für die integrative Förderung sozial, geistig oder körperlich behinderter Kinder. Eine geplante Reduzierung von 20 Prozent der Stunden in diesem Bereich hatte die Sozialsenatorin bereits mit einem Rückgang der Antragszahlen begründet.

Gloede-Noweck behauptet allerdings, dass die kirchlichen Träger 2003 wie auch in diesem Jahr 465 Anträge verzeichneten. Während 2003 fast alle genehmigt worden seien, seien jetzt bereits 150 abgelehnt worden. Rainer Müller, Personalrat der städtischen KTHs, spricht für seinen Zuständigkeitsbereich von 1.030 Anträgen und bereits 109 Ablehnungen. Außerdem werde den Kindern ein deutlich geringerer Betreuungsbedarf attestiert als noch vor Jahresfrist. Auch bei Wiederbegutachtungen komme es zu Rückstufungen im Förder-, also Personalbedarf.

Das sei richtig und vertretbar, erklärt der für die Gutachten verantwortliche Leiter des Gesundheitsamtes, Heinz-Jochen Zenker. In den vergangenen drei Jahren habe sich die Zahl der Anträge auf 1.800 verdoppelt, von denen zuletzt 1.560 genehmigt worden seien. Jetzt gelte es, die bekannten Gutachter-Kriterien wieder genauer anzuwenden, um nicht erneut einen Nachschlag im Haushalt beantragen zu müssen. Der bisher nach oben offene Fördertopf soll mit einer relativ festen Summe von 17,5 Millionen Euro gefüllt werden. „Das reicht“, so Zenker. Die Instrumentalisierung der Medizin müsse aufhören. „Würde die Regelausstattung der Bremer KTHs auf den bundesdeutschen Stand gehoben, würde sich die Zahl der Anträge wieder deutlich verringern.“

Die Gewerkschaft gedenkt, sich vorerst weiter zu wehren. Schon im vergangenen Jahr sei 84 Kindern der städtischen KTHs ein Förderbedarf attestiert worden, ohne dass dafür Personalmittel bereitgestellt worden seien, so Rainer Müller. Eingeklagt wurde das damals nicht. Was laut Kinderjugendhilfegesetz des Bundes möglich sei – und jetzt geschehen soll. fis

Über Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten gegen Förderbescheide informiert der Zentralelternbeirat auf der Hotline ☎ 04 21 / 223 93 95 (E-Mail: l-kiga@gmx.de) und im Internet unter www.kirche-bremen.de/aktuelles/news_tar_4394.html