Probegeburt in Trance

Schwangere sollen in freudiger Erwartung sein. Die Realität sieht anders aus: Viele haben Angst vor der Geburt. Hypnose kann helfen zu entspannen. Das erleichtert die Entbindung: Frauen empfinden weniger Schmerzen und werden schneller wieder fit

VON JANET WEISHART

Vor einer Entbindung plagen Frauen oft Sorgen: Laut einer Studie der Uniklinik in Kopenhagen/Dänemark haben 80 Prozent der Schwangeren Angst vor der Geburt. Schauspiellehrerin Carola Neitzel ging es auch so. Aber dann, bei der Geburt von Jay, war alles anders: Sie lag am Strand von Goa. Oder doch in der Berliner Klinik Havelhöhe? So genau kann sie das nicht sagen, denn sie war in Trance. „Als die Fruchtblase platzte, bin ich in Gedanken ans Meer gegangen und wieder eingeschlafen“, erzählt sie. „Dank der Hypnose war alle Angst wie weggeblasen.“ Obwohl sie vor der Hypnosetherapie schon skeptisch war.

Die Berliner Psychologin Harriet Grzondziel aus Treptow-Köpenick kennt die Vorurteile von Klientinnen. „Viele Frauen haben Angst, bei der Hypnotherapie die Kontrolle abzugeben, sich an nichts mehr zu erinnern. Doch diese Art der Trance wirkt so, dass man geistig aktiv ist und jederzeit wieder wach wird“, erklärt die klinische Hypnotherapeutin, die seit drei Jahren mit der Hypnoreflexogenen Methode (HR-Methode) arbeitet. Bei ihr lernen Frauen ab der 20. Schwangerschaftswoche in drei bis fünf Sitzungen, wie sie sich in Trance versetzen können.

Nach einem Vorgespräch wird geübt. Meist läuft während der Sitzungen eine CD mit einer Frauenstimme, die jede Schwangere an ihren selbst gewählten „sicheren Ort“ begleitet, wie etwa ans Meer. „Alles ist ganz natürlich“, wiederholt die Stimme auf der CD. Sie erklärt den Geburtsprozess medizinisch und die Hörerin durchlebt sozusagen einen Probelauf in Trance. Negativ belegte Begriffe werden dabei ersetzt. Das Wort „Wehe“, das viele Frauen mit „weh tun“ verknüpft haben, wird beispielsweise durch das Wort „Kontraktion“ positiv im Unterbewusstsein etabliert. „Der Kreislauf aus Angst, die zu Anspannung und dann zu starken Schmerzen führt, kann so durchbrochen werden“, sagt Grzondziel.

„Der Probelauf und das Medizinwissen gaben mir enorme Sicherheit und Ruhe“, erinnert sich die Brandenburgerin Melanie Fritzsche an den Tag, als sie Sohn Milo zur Welt brachte. „Jedoch konnte ich mich nur am Anfang der Geburt in Trance versetzen“, sagt sie. Dennoch möchte die Psychologin die HR-Technik auch bei der Geburt des zweiten Kindes anwenden. „Dann werde ich sie zu Hause noch öfter mit der CD üben.“ Denn je häufiger das mentale Erleben der Trance wiederholt wird, umso tiefer und automatisierter wird Trance und ist während der Geburt im Unterbewusstsein verankert und schnell abrufbar.

Hypnose als Geburtsvorbereitung interessiert immer mehr Frauen. Das bestätigt die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie, Helga Hüsken-Janßen, und erklärt einen der Hauptgründe: „Die Angst vor einer natürlichen Geburt ist bei Frauen groß. So groß, dass viele Frauen sich sogar eher für einen Kaiserschnitt entscheiden.“ Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation geschehen rund 19 Prozent aller Kaiserschnitte auf Wunsch der Frauen. Die fürchten sich oft vor der Geburt und damit verbundenen Schmerzen. „Weil Hypnose eben jene Angst vor den Unwägbarkeiten einer Geburt reduzieren kann, wird die Hypnotherapie als Alternative immer populärer“, sagt Hüsken-Janßen. Und das, obwohl die Krankenkassen die Kosten für diese Art der Geburtsvorbereitung nicht tragen und eine Sitzung zwischen 30 und 100 Euro kostet.

Dass die Hypnotherapie Angst reduziert, bewies Hüsken-Janßen in einer Studie mit der Uni Tübingen. Daran nahmen an acht deutschen Kliniken etwa 200 Frauen teil, von denen 43 die Hypnose erlernten und anwandten. Diese Frauen hatten signifikant weniger Furcht, Schmerzen und nahmen seltener Schmerzmittel in Anspruch. Die Eröffnungsphase bei Erstgebärenden verkürzte sich sogar um zwei Stunden. Die Untersuchung bestätigt altes Wissen: Bereits im Russland der 1930er- bis 1950er-Jahre gebaren etwa 60 Prozent aller Frauen unter Hypnose. In den USA ist die Methode seit 20 Jahren populär.

Doch was passiert mit den Schmerzen unter Hypnose? Die Uniklinik im belgischen Lüttich, wo unter Hypnose operiert wird, zeigte an Testpersonen: Im normalen Wachzustand laufen Schmerzreize über das Rückenmark ins Gehirn. Dort landen sie im Zwischenhirn, dem „Tor zum Bewusstsein“. Unter Hypnose werden zusätzlich spezielle Regionen im limbischen System aktiviert – jene, wo das Gehirn Emotionen verarbeitet und das Triebverhalten entsteht. Diese Regionen haben eine intensive Verbindung zur körpereigenen Schmerzabwehr im Stammhirn. Unter Hypnose schicken sie verstärkt Nervenimpulse dahin, und der Körper schüttet körpereigene Opiate aus.

Hypnotherapeut und Anästhesist Ron Sturm, der Schwangere im Geburtshaus Dresden-Bühlau mit der HR-Methode vertraut macht, erklärt es so: „In Trance fokussieren wir unsere Aufmerksamkeit auf einen ganz bestimmten Sachverhalt unter Ausblendung anderer unwichtiger Details.“ Dieser Zustand verschaffe einen besseren Zugang zum Unterbewusstsein. „Schwangere mit Hypnose auf die Geburt vorzubereiten, bedeutet für mich, den Zugang zur natürlichen Fähigkeit, ein Kind zu gebären, wiederherzustellen.“

Therapeuten bieten unterschiedliche Formen der Hypnose als Geburtsvorbereitung an. Die Leiterin des Hypnos-Instituts in Berlin-Reinickendorf, Katharina Hanf-Dressler, arbeitet zum Beispiel mit der Energetischen Hypnose-Therapie (EHT). Hier werden zusätzlich Akupunkturpunkte durch leichtes Klopfen stimuliert. „Damit löse ich negative Blockaden, etwa die Angst vorm Krankenhaus, zusätzlich auf der körperlichen Ebene“, erklärt sie.

Therapeutensuche bei der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie: dgh-hypnose.de