: „Wirf auch das Wegwerfen weg“
In der kommenden Woche beginnt Renate Noack an zwei Berliner Schulen als erste buddhistische Religionslehrerin Deutschlands ihren Unterricht. Die Begegnung mit einem Zen-Meister, Frust an der Arbeit und ein Trip in die DDR machten die frühere Deutsch- und Philosophielehrerin zur Buddhistin
von PHILIPP GESSLER
Ein Mönch fragte den Zen-Meister Jöshü: „Hat ein Hund eine Buddha-Natur?“ Jöshü antwortete: „Mu!“
Manchmal denkt Renate Noack: „Das Leben selbst ist ein Koan.“ Ein Rätsel, ein Paradox, etwas, was sich der rationalen Durchdringung entzieht. Im Zen-Buddhismus, dem Renate Noack anhängt, wird ein Koan in der Regel beschrieben durch einen kurzen Dialog zwischen einem Meister und einem Schüler. Der Lehrer hilft dem Lernenden durch einen Koan, den Sprung vom Verstand zum Nichtverstand zu schaffen, hin zum Wesen der Dinge. Ein Beispiel:
Sekkyo fragte einen seiner Mönche: „Kannst du die Leere fassen?“ „Ich kann es versuchen“, sagte dieser und formte die Hände zu einem Gefäß. „Das ist nicht sehr gut“, sagte Sekkyo. „Du hast ja nichts drin.“ „Dann, Meister, zeig mir bitte einen besseren Weg.“ Daraufhin packte der Meister die Nase des Mönchs und zog kräftig daran. „Autsch!“, schrie der Mönch, „du tust mir weh!“ „Das ist der Weg, die Leere zu fassen“, sagte Sekkyo.
Wie eine Pionierin sieht Renate Noack nicht aus. Nichts Verwegenes ist um sie, eher Sanftheit, Gelassenheit und Stille. Gleichwohl betritt die 54-Jährige ab Montag Neuland: Sie gibt buddhistischen Religionsunterricht in Berlin. Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik wird dieser Unterricht angeboten. Niemand anderes als sie gibt ihn in Berlin.
Chü Chih erhob immer einen Finger, wenn er etwas über Zen gefragt wurde. Das Hochhalten eines Fingers, ohne weiter etwas zu sagen, war seine stets gleiche Antwort. „Welches ist die oberste und absolute Wahrheit?“, wurde er gefragt. Chü Chih erhob einen Finger und schwieg.
Dass Renate Noack die erste und einzige buddhistische Religionslehrerin in Deutschland wurde, ist ihr nicht in die Wiege gelegt worden: Sie wuchs als Kind von schlesischen Vertriebenen, einfachen Handwerkern, im katholischen Rheinland auf, in Köln. Renate Noack wurde als Protestantin religiös erzogen – und dass damals Lutheraner noch von katholischen Kindern und Jugendlichen mit Prügel und Steinen gejagt wurden, hat sie nicht zweifeln lassen.
Mumon sagt: „Der Gebrauch von Worten ist so, als ob man den Mond mit einem Stock schlagen wollte oder sich am Schuh kratzt, weil der Fuß juckt.“
Nach ihrer Konfirmation „hat mich die Kirche verabschiedet“, sagt Renate Noack – die „Jungschar“ war vorbei, und irgendwie fühlte sie sich auch allein gelassen. Nach dem Abitur, dem ersten in ihrer Familie, studierte sie ab 1968 im einigermaßen studentenbewegten Köln Germanistik und Philosophie. Die Gottesbeweise der Philosophie erschienen ihr „nur als etwas Gedachtes“: „Das hat mich nicht zufrieden gestellt.“ Auch den Glauben an Gott verlor sie, zumindest an den einen personalen Gott.
Osho sagt: „Wahrheit wird in der Stille erfahren. Und wenn Wahrheit durch Stille erfahren wird, kann sie auch nur durch Stille ausgedrückt werden.“
In Wuppertal bekam Renate Noack ihre erste feste Stelle an einer Schule. Sie gab Deutsch und Philosophie, übernahm eine Klasse, etablierte erstmals an dieser Schule einen Philosophie-Leistungskurs. „Ich habe in meinem Leben immer sehr viel initiiert“, sagt sie, „ich kann es nicht lassen.“ Nebenher bot sie an der Schule auch noch eine Theater-AG an – doch nach fünf Jahren war sie völlig überarbeitet. Nach einer Weile fühlte sie sich „als Mensch nicht wahrgenommen“. Sie habe nur funktionieren müssen, sagt Renate Noack.
Nagaya Kiichi sagt: „Wirf alles weg! Wirf auch das Wegwerfen weg.“
In dieser Krise, da sich irgendwie „Über- und Unterbewusstsein gekreuzt“ hätten, traf sie auf den japanischen Zen-Meister Nagaya Kiichi. Sie besuchte bei ihm einen Wochenendkurs in einem Privathaus, lernte das stundenlange Schweigen und Knien – trotz höllischer Schmerzen. Da habe sie etwas erfahren, was sie „angerührt“ habe, sagt Renate Noack: „Etwas, was mich traf, das mich tief in meinem Inneren berührt hat.“ Mit Tusche malte der Meister chinesische Zeichen für Begriffe, vorgegeben durch die Lernenden. Renate Noack wählte sich, ohne zu wissen, warum, den Begriff „Nichts“: „Mu“.
Nagaya Kiichi sagt: „Wo nichts ist, da ist alles. Wir sitzen, um nichts zu werden. Nicht nichts denken. Nichts werden.“
Das Zeichen des Meisters hängte sich Renate Noack in den Flur. Schon das habe ihr Kraft gegeben, sagt sie. Zwei Jahre später, 1981, aber war für sie dann doch „der Knackpunkt erreicht“: Sie fuhr Ende Oktober 1981 mit ihrem Philosophie-LK in die DDR. Es sei „ein riesiges Erlebnis“ gewesen, sagt sie, es habe sie „umgehauen“: Die Kontrolle durch staatliche Stellen, die Verbohrtheit der Funktionäre, die Angst der einfachen Menschen, die Tristesse des Lebens – und dann noch die Gedenkstätte des KZ Buchenwald bei Weimar. Nicht zuletzt die Unerträglichkeit des ehemaligen Lagers habe in ihrem Geist zu einem „Quantensprung“ geführt. Renate Noack fragte sich: „Was unterrichte ich eigentlich?!“
Nagaya Kiichi sagt: „Wenn Seele still, ganzer Mensch still. Dann Weltfrieden.“
Renate Noack schmiss die Brocken hin. Sie hatte genug von Wuppertal und ihrer Schule, wo sie sich immer häufiger voll Beklemmung fragte: „Das ist jetzt dein Leben?“ Das sei nicht gegangen, schließlich sei sie „ein freiheitsliebender Mensch“. Renate Noack trat aus dem Staatsdienst aus und siedelte über nach Berlin. Hier schlug sie sich seitdem mit Honorartätigkeiten durch: als Volkshochschullehrerin, als Sozialpädagogin, als Deutschlehrerin für Migranten. Vor allem aber vertiefte sie sich in die buddhistische Lehre, ist Dauergast in der kleinen Souterrainbibliothek der Buddhistischen Gesellschaft Berlin in Steglitz. Das Lernen über die Lehre des Buddha sei eine „unendliche Sache“, sagt sie. Man könne nicht alles studieren.
Nagaya Kiichi sagt: „Man darf nicht mit dem Mund predigen, man muss mit dem Körper predigen.“
Bei ihrem buddhistischen Religionsunterricht an der Eosander-Schinkel-Grundschule in Charlottenburg und in der John-Lennon-Oberschule in Mitte will Renate Noack alle Richtungen des Buddhismus vorstellen. Sie werde versuchen, mit den Kindern zu meditieren und das Mantra zu singen. Die Kinder und Jugendlichen sollten auf ihren Körper achten lernen und ihre Konzentrationsfähigkeit verbessern. Noten muss sie nicht geben. Noch Anfang der Woche waren es lediglich acht Anmeldungen: „Äußerst mager“, sagt Renate Noack. Nach Angaben der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), dem 54 buddhistische Gemeinschaften angehören, richtet sich der Unterricht „in erster Linie an die Kinder von ca. 3.000 deutschen Buddhisten und ca. 6.000 Schüler aus asiatischen Länder“.
Nagaya Kiichi sagt: „Ich muss noch viel mehr Kind werden.“
Renate Noack ist „gespannt, was da für Kinder kommen“ – reich werden kann sie mit diesem Unterricht jedenfalls nicht. Derzeit ist sie arbeitslos. Auch bei ihr sei hier „sehr viel Idealismus gefragt“. Der Senat finanziert 90 Prozent ihrer Stelle, den Rest der Kosten für das diesjährige Pilotprojekt trägt die DBU. Sie hofft, einem Kern von zehn Schülern Unterricht geben zu können. Daran könnten sich dann immer wieder andere „andocken“.
Nagaya Kiichi zitiert Papst Johannes XXIII: „Einfachheit und Stille in jedem Moment des Lebens.“
Ob das alles vorbestimmt war: dass sie Buddhistin wurde und Deutschlands ersten buddhistischen Religionsunterricht geben wird? Ihre Mutter jedenfalls war ein bisschen erschrocken, das in der Bild-Zeitung zu lesen: Schon 20 Jahre sei sie Buddhistin, habe sie entsetzt gefragt. „Aber wir sind doch Christen“, hörte Renate Noack aus ihrer Familie. Übel genommen aber habe ihr das ihre Mutter nicht – nur dass sie zeitweise Vegetarierin war, habe sie entsetzt.
Nicht einmal ihrem Lehrer Dagyab Kyabgön Rinpoche aus Rheinbach bei Bonn habe sie gefragt, ob der Weg richtig sei. Manchmal werde ihr nur etwas schummrig, zu erleben, wie sehr sie in den Brennpunkt der Öffentlichkeit geraten sei. Die Neugierde aber, sagt Renate Noack, werde schnell nachlassen. Außerdem habe sie ja gelernt, „loszulassen“ und keine Angst vor Gefahren zu haben. „Der Weg ist das Ziel“, sagt Renate Noack, „und das Ziel beginnt mit dem ersten Schritt.“
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