Giftexperten fehlt die Sensibilität

Die EU-Kommission beruft Berater, die klären sollen, wie viel Gift der Mensch verträgt. Und setzt ausgerechnet auf den Münchner Professor Greim. Der hat aber den Ruf, Risiken zu verharmlosen. Auch andere Experten einschlägig bekannt

VON HANNA GERSMANN

Der Münchener Professor Helmut Greim ist ein gefragter Mann. Er gehört zu den einflussreichsten Toxikologen der Republik. Wird ein Müllofen genehmigt, Greim ist zur Stelle. Wird der Insektenkiller Lindan versprüht, Greim schreibt ein Gutachten. Taucht das Krebsgift Dioxin auf, wird Greim gerufen. Das Ergebnis überrascht nie: Der Experte gibt immer Entwarnung, findet alles halb so schlimm.

Ein lindanverseuchtes Asylbewerberheim sanieren? Nicht nötig! Menschen, die durch Holzschutzmittel krank werden? Simulanten! Dem Staat und so manchem Chemiekonzern spart das Geld. Nur: Kollegen oder Anwälte halten das für unverantwortlich. Wie viel Gift verträgt der Mensch? Mit dieser Frage beschäftigt sich nun auch die Europäische Kommission. Da das kompliziert ist, hat sie dazu drei Ausschüsse gegründet – besetzt mit Wissenschaftseliten aus allen Mitgliedstaaten. Der EU-Gesundheitskommissar David Byrne gab Anfang August die Namen bekannt, lobte „das hohe Maß an wissenschaftlicher Fachkompetenz und Unabhängigkeit“. Mit dabei: natürlich Helmut Greim.

Hermann Kruse ist empört, als er das hört. Der Chef der Toxikologie an der Universität Kiel schimpft: „Ein Pensionär mit bekanntermaßen konservativer Auffassung von Schadstoffbelastungen“. Dem schon emeritierten Professor fehle die „Sensibilität für geringe Schadstoffmengen“. Stimmt, sagt Professor Erich Schöndorf. Er kennt „das U-Boot“ Greim, wie er sagt, aus dem Frankfurter Holzschutzmittelprozess. Schöndorf war im längsten Umweltstrafverfahren Deutschlands Oberstaatsanwalt und Ankläger, Greim ein Gutachter. Der Giftexperte bescheinigte damals, Pentachlorphenol (PCP) sei unschädlich. Doch erzeugt es nachweislich Krebs. Die Firma Desowag, die das PCP-haltige Mittel in Umlauf gebracht hatte, entlastete das. „Dabei saßen 30 Betroffene auf Krücken hinter dem Münchner Dandy“, regt sich Schöndorf auf. Dann habe der Wissenschaftler erklärt, für die Krankheiten seien Lösemittel aus Bastelarbeiten, Ausdünstungen von Haustieren oder das Rauchen verantwortlich.

Im „Interesse der Industrie“ habe Greim auch das „Dioxinrisiko“ verharmlost, als nach der Wende zahlreiche neue Müllverbrennungsanlagen aus dem Boden gestampft werden sollten. Das erzählt Erich Müller, Präsident des Verbands der deutschen Umweltmediziner. Greim sei ein „Theoretiker“, habe noch „keinen Patienten, der an Chemikalien laboriert, diagnostiziert oder behandelt.“ Weil er schon in zahlreichen Gremien als Sachverständiger sitze, werde er auch ins nächste gewählt.

Greim ist Chef der MAK-Kommission, die festlegt wie viel Schadstoffe am Arbeitsplatz erlaubt sind. Er berät auch Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt. Greim zur taz: „Dort habe ich gelernt, nicht hörig zu sein.“ Er sei „weder Industrie oder Verbrauchern, sondern der Wissenschaft verpflichtet“. Kritiker Müller aber sagt: „Die Politik hört einfach nicht genau hin.“

Greim ein Mann mit zweifelhaftem Renommee? Davon will Beate Gminder nichts wissen. Die Sprecherin von EU-Kommissar Byrne erklärt, es habe eine Ausschreibung gegeben. Alle Bewerbungen seien von einem EU-Gremium ausgiebig bewertet worden. Jeder habe eine Erklärung abgeben müssen, finanziell unabhängig zu sein. Dann sagt sie: „Jeder hat doch einen schwarzen Fleck in der Biografie.“ Das werden die zwei anderen Wissenschaftler, die von der Kommission aus Deutschland in den Ausschuss für Umweltrisiken berufen wurden, nicht gern hören. Allerdings: Das sind ausgerechnet die Greim-Schülerin Inge Mangelsdorf vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin und Professor Wolfgang Dekant, Toxikologe an der Universität Würzburg. Greim und er kennen sich, sie wurden schon öfter zusammen als Gutachter beauftragt.

http://europa.eu.int/eur-lex/de/archive/2004/c_18820040723de.htm