: Wozu noch stöhnen?
Sex – stöhn! Sexismus – noch mehr stöhn! Über die Sexualisierung von Frauen muss man nichts mehr sagen. Schließlich macht ja jede, was sie will. Bei „Sexismus“ zucken viele nur noch mit den Achseln. Wir leben in einer durchliberalisierten Gesellschaft, da darf die eine sich zur Sexbombe zurechtoperieren und der andere darf seine Blondinenwitzchen aufwärmen. Sexistisch – vielleicht. Na und?
Sexismus ist ein altmodischer Begriff geworden. Er riecht streng. Nach klaren Täter- und Opferbildern. Und nach feministischen Zensurfantasien und Bürokratismen wie dem Binnen-I, das die taz einst als Mittel gegen sexistische Sprache einführte (siehe Seite 12). Alle, die sich unter dem vagen Begriff „neuer Feminismus“ versammeln, möchten mit diesem Geruch nichts zu tun haben.
„Ich bin kein Opfer“, steht auf ihrer Stirn. Aber was hilft die heroische Selbstbeschreibung, wenn wir in einer Geschlechterordnung leben, die bestimmt, was maskulin und was feminin ist – und Abweichungen mit Sympathieentzug bestraft? Und was hilft es, kein Opfer sein zu wollen, wenn diese Ordnung Frauen unterhalb der Männer positioniert? „Ich bin kein Opfer“ – das stimmt insofern, als Frauen und Männer diese Ordnung zusammen aufrechterhalten, „Doing Gender“ hat Judith Butler das einst genannt.
Aber angesichts dieser Strukturen nur noch dem einzelnen Menschen, der einzelnen Frau die Sorge um sich aufzutragen, wie es manche Neufeministin fordert, ist zu wenig. Es gilt, die Geschlechterordnung sichtbar zu machen, damit verständlich wird, was die Selbstbestimmung behindert.
Denn die Probleme sind ja noch da. Nur die Schuldfrage ist nicht mehr so eindeutig. Es sind Männer und Frauen, die Frauen weniger ernst nehmen als Männer. Es ist auch unsere gemeinsame öffentliche Bildsprache, von Frauen viel genutzt, in der der weibliche Körper inklusive der Intimität der Brüste öffentlich zur Verfügung steht – und verhandelt wird. Der weibliche Körper präsentiert seine Verletzlichkeit, während der Männerkörper seine Unverletzlichkeit präsentiert. (Das extrem verletzliche männliche Geschlechtsteil ist ohnehin tabu.) Nicht nur Männer betreiben „doing gender“, das tun die Frauen ganz genauso. Aber sie bewegen sich damit in einer Geschlechterordnung, die sie abwertet.
Diese Abwertung lässt sich bei vielen Themen erkennen. So untersuchen wir in diesem Dossier, wie Politikerinnen sich im Unterschied zu Politikern präsentieren (Seite 4). Wer als Mann mit Maskulinität spielt, wirkt stark. Wer mit Weiblichkeit spielt, wird nicht ernst genommen. Viele Frauen wissen das und sind vorsichtig. Aber allein dass sie mit ihrem Geschlecht so vorsichtig umgehen müssen, während Männer das ihre voll ausspielen können, ist im System der öffentlichen Aufmerksamkeit ein Nachteil.
Der weibliche Körper ist zugänglich, und er wird abgewertet. Ganz grundsätzlich, wie bei den wachsenden religiös-fundamentalistischen Gruppen, die ihre Identität über die Kontrolle des weiblichen Körpers exerzieren (Seite 11). Etwas subtiler, wenn Studentinnen an der Uni unerwünschte Annäherungen erleben (Seite 8). Extrem ungesund, wenn betrunkene Mädchen und Frauen als sexuelles Freiwild gelten (Seite 10). Komischer, wenn Frauen zu Witzfiguren werden (Seite 6). Und ganz perfide, wenn die Bilder, die einen knechten, einfach nur im eigenen Kopf sitzen (Seite 5).
Dennoch, es gibt heute viele souveräne Frauen. Sie haben gelernt, der Geschlechterordnung zu misstrauen, sie für sich zu nutzen, ihr zuwiderzuhandeln. Sie fordern – und sie schrecken nicht zurück, wenn sie daraufhin diszipliniert werden sollen. Aber dieses Coolbleiben kostet Anstrengung. Man hört oft, wie Frauen sich zusammen erregen, über die Kommunikationskultur der Männer etwa – und über das Schweigen der anderen Frauen. Da ist viel Wut. Aber da ist auch das Wissen, dass auf jeden Fall verloren hat, wer Emotionen öffentlich zeigt und eine Frau ist.
Man kann cool bleiben – und trotzdem handeln. Dieses Dossier zeigt ein paar Stellen, wo das alte Geschlechterspiel der heimlichen Abwertung herrscht. Es zeigt aber auch, wo und wie Frauen sich heute andere Positionen im Geschlechtergefüge nehmen, etwa mit Humor. Und es zeigt, wo Frauen ebenfalls sexistisch werden – gegenüber Männern (Seite 9). Und das ist vielleicht auch die Botschaft im Jahr 2009: Sexismus ist oft eine Abwertung, die von Männern gegenüber Frauen ausgeübt wird. Aber Sexismus ist vor allem ein System, bei dem viele mitmachen, Frauen wie Männer. Es ist ein System, das Frauen festlegt und das Männer festlegt. Und das beiden nicht guttut. HEIDE OESTREICH
HEIDE OESTREICH, 40, ist taz-Redakteurin für Geschlechterpolitik und trotzdem oft gut gelaunt