: Theorie und Tatsachen
Als „Baupiloten“ realisieren Architekturstudenten der TU Berlin echte Projekte. Die Deutsche Bahn lässt sich von Hochschülern beraten. Studium mal praktisch: Die Nachwuchsakademiker lernen den künftigen Arbeitsalltag kennen und knüpfen Kontakte
von OLIVER VOSS
Das es einmal so weit kommen würde, hätten sie nicht gedacht. Die Architekturstudenten Nils Ruf und Johannes Gutsch stehen auf zwei Leitern und schrauben Metallhaken in die frisch gestrichene Wand einer Grundschule. Hier sollen Stoffschleier gespannt werden, um den Schulflur in eine Art Drachenhöhle zu verwandeln. Die Idee dazu entstand in einem Entwurfsseminar für Architekten an der Technischen Universität Berlin (TU). „Anfangs war gar nicht klar, dass es dann mal realisiert wird, aber irgendwie verselbstständigte sich das“, sagt Johannes Gutsch. Verantwortlich dafür ist Susanne Hofmann. Die freie Architektin leitete das Seminar an der TU und stand damals schon in Kontakt mit der Erika-Mann-Grundschule im Wedding. Dann bewilligte das Quartiersmanagement Pankstraße 128.000 Euro zur Umgestaltung der Schule. Die Entwürfe konnten umgesetzt werden. Susanne Hofmann wollte eine stärkere Verbindung von Lehre und Praxis, „da alle die Praxisuntauglichkeit der Absolventen bejammern. Manche Studenten kommen aus der Uni raus und können sich gar nicht vorstellen, tatsächlich zu bauen.“
Während ihres eigenen Studiums in London hatte Susanne Hofmann die Gelegenheit, mit einem Kollegen ein Ferienhaus zu bauen. „Diese Erfahrung müssen andere auch erleben dürfen“, sagt sie zu ihrer Motivation. Im Januar 2002 begann Susanne Hofmann erstmals, ihr Vorhaben umzusetzen. Mit einer kleinen Studentengruppe gestaltete sie den großen Hörsaal am Kennedy-Institut der FU Berlin neu. Aus dem Experiment wurde eine Institution, die „Baupiloten“. Unter diesem Namen gründete Hofmann Anfang letzten Jahres ein Architekturbüro an der TU Berlin, in dem Studenten echte Baumaßnahmen realisieren.
Für den Studenten Nils Ruf ist die wichtigste Erfahrung „das permanente Abgleichen der Ideen mit der Wirklichkeit“. Verspielte Prototypen müssen auf den Boden einer tatsächlichen Schule. „Da sind die Einschränkungen durch das Baurecht ganz extrem“, sagt Ruf. Fluchtwege und Brandschutzbestimmungen müssen beachtet werden, und über allem stehen immer die Kosten. Den Vollzeitjob macht der Baupilot unbezahlt. „Doch wir werden reichlich entlohnt durch Scheine“, denn verschiedene Studienbereiche wie Bauökonomie, Lichttechnik oder darstellende Architektur fallen in dem Projekt zusammen. Anderthalb Jahre beschäftigt sich der gelernte Zimmerer nun schon mit der Schule, „da wird es eine Umstellung, jetzt wieder normal zu studieren“.
Die Baupiloten möchten sich derweil etablieren, ein Projekt für das neue Semester gibt es auch schon: Ein Gewächshaus aus Dahlem soll auf den FU- Campus verlegt und in ein Café verwandelt werden.
Solche Projekte sind allerdings selten. Der Praxisbezug im Studium ist in den meisten Fächern mangelhaft. Einblicke in das Arbeitsleben ermöglichen oft nur Praktika. Eine Alternative bieten die selbst organisierten studentischen Unternehmensberatungen. Mit Unterstützung von Professoren erproben sich hier Studenten in Management und Marketing. Mehr als die Hälfte studiert naturgemäß BWL, doch auch Juristen, Physiker oder Politologen findet man bei Studi-Initiativen wie „Uniconsult“ oder „Market Team“.
1991 wurde die Unternehmensberatung Uniconsult von vier Studenten an der FU Berlin gegründet. Carsten Brockmann ging zu Uniconsult, „um Gelerntes in der Praxis anzuwenden und auch mal anzupacken, statt nur zu diskutieren“. Denn „in Hörsälen kann es ganz schön eintönig sein“, so der 23-jährige BWL-Student. Nach einem Jahr trägt Brockmann nun den Titel Regionalleiter Berlin.
Uniconsult erstellt Businesspläne für Existenzgründer und entwickelte beispielsweise das Anzeigenkonzept für ein Journal der Staatsoper Berlin. Im Auftrag der Deutschen Bahn haben die studentischen Unternehmensberater kürzlich eine Marktpotenzialanalyse für einen Reisezug nach Griechenland durchgeführt. „Den wird es allerdings nie geben, wenn sie unsere Empfehlung beherzigen“, lacht Brockmann, „denn das Ergebnis war negativ.“
Unternehmen greifen auf die Studenten zurück, da der Lohnsatz deutlich niedriger ist als bei etablierten Beratungsfirmen. Doch über Geld, Gehälter und Geschäfte spricht Brockmann ungern. Nur so viel ist dem Regionalleiter zu entlocken: „Das eigentliche Kapital sind ja die Kontakte, die man knüpft, und die sind nicht in Geld zu messen.“